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V. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1999 - 31.03.2001

21. Verfassungsschutz

Änderungen beim G 10-Gesetz

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 14.07.1999 zum Verbrechensbekämpfungsgesetz für die Verwendung von privaten Daten, die aus der Fernmeldeüberwachung durch staatliche Stellen gewonnen wurden, deutliche verfassungsrechtliche Schranken aufgezeigt und die Änderung bzw. Ergänzung von Vorschriften verlangt. Ein Schwerpunkt der Entscheidung liegt beim Umgang der Nachrichtendienste des Bundes und der Länder mit personenbezogenen Daten, die sie unter den besonderen Voraussetzungen des G 10-Gesetzes erheben dürfen.

Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben sich in der anschließenden rechtspolitischen Diskussion wiederholt zu Wort gemeldet und zunächst in einer Entschließung der 59. Konferenz vom 14./15. März 2000 grundlegende Aussagen zu den Konsequenzen aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts dargelegt (Anlage 9). Schwerpunkte waren dabei die Pflicht zur unverzüglichen Löschung von Daten, die aus Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis resultieren und nicht mehr benötigt werden, sowie eine Kennzeichnungspflicht für diese Daten, um die vom Bundesverfassungsgericht als besonders wichtig angesehene Zweckbindung der Daten auf ihrem weiteren Weg zu sichern.

Seit dem 24. Januar 2001 liegt nun ein Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Novellierung des G 10-Gesetzes (G-10 E) vor. Dazu haben die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder in einer vorläufigen Stellungnahme folgende Kernpunkte herausgestellt:

- Die in § 15 G-10 E vorgesehene Regelung zur notwendigen Personal- und Sachausstattung der G 10-Kommission und deren Kontrollbefugnisse werden einhellig begrüßt.

Soweit personenbezogene Daten nicht der Kontrolle durch die G 10-Kommission unterliegen (z.B. bei ihrer Übermittlung von den Nachrichtendiensten des Bundes an andere Bundesstellen), bleibt es bei der Zuständigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz. Damit ist im G 10-Bereich prinzipiell eine lückenlose Datenschutzkontrolle einerseits durch die G 10-Kommission und andererseits durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz gewährleistet.

- Positiv zu bewerten ist auch die in § 14 Abs. 1 G-10 E vorgesehene Berichtspflicht des zuständigen Bundesministeriums für sämtliche Beschränkungen nach dem G 10-Gesetz.

Datenschutzrechtlichen Bedenken begegnet allerdings die in § 14 Abs. 1 Satz 2 G-10 E vorgesehene Formulierung, nach der die parlamentarische Kontrollkommission jährlich dem Deutschen Bundestag über „Durchführung” sowie „Art und Umfang” der Maßnahme Bericht zu erstatten hat, weil sie nicht konkret genug ist. Berichte an den Bundestag machen nur dann Sinn, wenn diese eine effiziente parlamentarische Kontrolle der Maßnahmen ermöglichen. Daher sollte die gesetzliche Vorschrift in Anlehnung an § 100e StPO so formuliert sein, daß über Anlaß, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Maßnahmen sowie über die Benachrichtigung der beteiligten Personen zu berichten ist.

Zu den Forderungen des Landesbeauftragten und seiner Kollegen und Kolleginnen in Bund und Ländern gehört seit langem bei intensiven Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht eine Evaluation und Erfolgskontrolle der Maßnahmen. Diese kann aber nur dann sachgerecht erfolgen, wenn entsprechend detailliertes Material zur Verfügung steht. Ansonsten liefe jede Verpflichtung des Gesetzgebers zur Evaluation grundrechtstangierender Maßnahmen größtenteils ins Leere.

- Datenschutzrechtlich problematisch ist die in § 3 Abs. 1 Nr. 6 G-10 E vorgesehene Regelung, wonach die Überwachungsbefugnisse auf Einzeltäter außerhalb von Staatsschutzdelikten ausgeweitet werden sollen. Die 60. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hat sich bereits im Oktober 2000 mit dieser geplanten Erweiterung der Überwachungsbefugnisse befaßt und eine entsprechende Änderung des G 10-Gesetzes abgelehnt. Die Bedenken bestehen bereits deshalb, weil die ohnehin rechtsstaatlich sensiblen Überwachungsbefugnisse des Verfassungsschutzes und des Bundesnachrichtendienstes nunmehr in den Bereich der Strafverfolgung ausgedehnt werden sollen. Die Strafverfolgung muß aber aus rechtsstaatlichen Gründen Sache der Strafverfolgungsbehörden bleiben, die in einem durch die strafprozessualen Regelungen ausgestalteten rechtsstaatlichen Verfahren agieren, das für die betroffenen Bürger und ihre Bevollmächtigten hinreichend transparent und überschaubar ist und eine gerichtliche Überprüfung getroffener Maßnahmen gewährleistet. Die geplante Einbeziehung der Geheimdienste mit ihren nachrichtendienstlichen Mitteln in die Verfolgung von Straftaten beeinträchtigt diese rechtsstaatlichen Sicherungen.

Die in § 3 Abs. 1 Nr. 6 G-10 E vorgesehene Regelung kann in Verbindung mit der in § 4 Abs. 3 G-10 E vorgesehenen Übermittlungsbefugnis in der Praxis dazu führen, daß die Polizei, die selbst nicht über die im G 10-Gesetz normierten Kompetenzen verfügt, letztendlich einen Großteil der von den Verfassungsschutzbehörden und dem Bundesnachrichtendienst erhobenen Daten erhält.

- Die Wiedereinführung der durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz gestrichenen Fünfjahresfrist in § 12 Abs. 1 Satz 3 G-10 E wird abgelehnt. Hier ist eine Frist von drei Jahren völlig ausreichend. Wird auch nach drei Jahren nicht benachrichtigt, so ist die G 10-Kommission zu benachrichtigen.

- Die in § 8 G-10 E vorgesehene Regelung zur Überwachung von internationalen Telekommunikationsbeziehungen hat das datenschutzrechtliche Manko, daß keine Obergrenzen für die zur Kontrolle freigegebene Übertragungskapazität festgelegt wird. Dies kann im Einzelfall dazu führen, daß die gesamte Telekommunikation zwischen der Bundesrepublik und einem anderen Staat erfaßt wird. Hier ist es aus datenschutzrechtlichen Gründen mindestens erforderlich, wenn dauerhaft auf die Festlegung von Obergrenzen verzichtet werden soll, Kriterien zur Evaluation und Erfolgskontrolle der durchgeführten Maßnahmen festzulegen.

- Bei der vorgesehenen Durchbrechung des Zweckbindungsgrundsatzes nach § 4 Abs. 1 G-10 E ist anzustreben, daß die Zweckbindung in Anlehnung an die derzeit geltende Regelung so zu formulieren ist, daß die erhobenen Daten nicht zur Erforschung und Verfolgung anderer als der in § 3 und § 5 G-10 E genannten Straftaten genutzt werden dürfen.

- Unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten zu kritisieren ist auch die in § 4 Abs. 2 Satz 3 G-10 E vorgesehene Regelung zur Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht bei der Übermittlung von Daten, die aus G 10-Maßnahmen stammen. Die Kennzeichnungspflicht gehört zu den Grundaussagen des Bundesverfassungsgerichtes in seinem Urteil vom 14.07.1999. Die vorgesehene Neuregelung enthält in § 4 Abs. 2 Satz 3 die Ausnahme, daß der Behördenleiter oder sein Stellvertreter anordnen kann, daß bei der Übermittlung auf die Kennzeichnung verzichtet wird, wenn dies unerläßlich ist, um die Geheimhaltung einer Beschränkungsmaßnahme nicht zu gefährden, und die G 10-Kommission zugestimmt hat.

Eine solche Ausnahmeregelung, die auch dazu führen könnte, daß in der Praxis die Kennzeichnungspflicht unterlaufen wird, wäre höchstens hinnehmbar, wenn bei der Evaluation besonders darauf geachtet wird, ob es sich lediglich um Einzelfälle der Ausnahme von der Kennzeichnungspflicht handelt.

Zwischenzeitlich liegen aus dem Rechts- und Innenausschuß des Bundesrates Empfehlungen zu dem Gesetzentwurf vor, die nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger erheblich einschränken würden und die über den Gesetzentwurf der Bundesregierung in Teilen weit hinausgehen. Insbesondere wenden sich die Datenschutzbeauftragten dagegen, daß

- die Befugnisse der Nachrichtendienste zur Übermittlung und Verwendung von G 10-Daten an Strafverfolgungsbehörden gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung noch deutlich erweitert werden sollen, indem Erkenntnisse der Nachrichtendienste u.a. zur Strafverfolgung nicht nur für die Verfolgung der Schwerkriminalität genutzt werden sollen,

- der Verzicht auf die Kennzeichnung von G 10-Daten sogar ohne vorherige Zustimmung der G 10-Kommission zulässig sein soll und

- die Schwelle dafür, endgültig von der Benachrichtigung Betroffener abzusehen, zu Lasten der Bürger deutlich herabgesetzt werden soll.

In der Entschließung der 61. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 08./09. März 2001 sind weitere gravierende Kritikpunkte genannt (vgl. Anlage 25) .

Auch für das Land Sachsen-Anhalt ist eine Novellierung des Ausführungsgesetzes zum G 10-Gesetz erforderlich, da nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch im Bereich der Länder eine lückenlose Kontrolle bestehen muß.

Das Ministerium des Innern hat auf Anfrage des Landesbeauftragten mitgeteilt, daß zuerst die Neufassung des Bundesgesetzes abgewartet werden soll, bevor die Landesbestimmungen novelliert werden. Die Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts will man dabei dann berücksichtigen.