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Entschließung der 53. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 17./18. April 1997 in München

Genetische Informationen in Datenbanken der Polizei für erkennungsdienstliche Zwecke

Immer häufiger wird bei der Verfolgung von Straftaten am Tatort oder beim Opfer festgestelltes, sog. biologisches Material als Spurenmaterial durch die Polizei sichergestellt, mittels DNA-Analyse untersucht und mit anderen DNA-Materialien verglichen. Die DNA-Analyse ist zur Standardmethode geworden, um die Herkunft von Spurenmaterial von bestimmten bekannten Personen (Verdächtigen, Opfern, unbeteiligten Dritten) oder die Identität mit anderem Spurenmaterial unbekannter Personen feststellen zu können.

Der Gesetzgeber hat zwar vor kurzem im Strafverfahrensänderungsgesetz -DNA-Analyse ("Genetischer Fingerabdruck")- die Voraussetzungen und Grenzen genetischer Untersuchungen im Strafverfahren geregelt. Eine Festlegung, ob und in welchen Grenzen die Speicherung und Nutzung der durch eine DNA-Analyse gewonnenen Untersuchungsergebnisse in Datenbanken der Polizei zu erkennungsdienstlichen Zwecken zulässig ist, enthält dieses Gesetz jedoch nicht.

Bezüglich des Aussagegehalts der gespeicherten Daten der Analyseergebnisse ist ein grundsätzlich neuer Aspekt zu berücksichtigen:

Die automatisiert gespeicherten Informationen aus DNA-Merkmalen, die zum Zweck der Identitätsfeststellung erstellt worden sind, ermöglichen derzeit tatsächlich zwar keine über die Identifizierung hinausgehenden Aussagen zur jeweiligen Person oder deren Erbgut. In Einzelfällen können die analysierten nicht codierenden persönlichkeitsneutralen DNA-Merkmale jedoch mit codierenden Merkmalen korrespondieren. In Anbetracht der weltweiten intensiven Forschung im Bereich der Genom-Analyse ist es nicht ausgeschlossen, dass künftig auch auf der Basis der Untersuchung von bisher als nicht codierend angesehenen Merkmalen konkrete Aussagen über genetische Dispositionen der betroffenen Personen mit inhaltlichem Informationswert getroffen werden können. Dieses Risiko ist deshalb nicht zu vernachlässigen, weil gegenwärtig weltweit mit erheblichem Aufwand die Entschlüsselung des gesamten menschlichen Genoms vorangetrieben wird.

Dieser Gefährdung kann dadurch begegnet werden, daß bei Bekanntwerden von Überschussinformationen durch die bisherigen Untersuchungsmethoden andere Untersuchungsmethoden (Analyse eines anderen Genomabschnitts) verwendet werden, die keine Informationen über die genetische Disposition liefern. Derartige Ausweichstrategien können jedoch zur Folge haben, dass die mit anderen Methoden erlangten Untersuchungsergebnisse nicht mit bereits vorliegenden vergleichbar sind. Datenspeicherungen über verformelte Untersuchungsergebnisse könnten daher dazu führen, dass einmal verwendete Untersuchungsformen im Interesse der Vergleichbarkeit beibehalten werden, obwohl sie sich als problematisch herausgestellt haben und unproblematische Alternativen zur Verfügung stehen, z.B. durch Verschlüsselung problematischer Informationen.

In Anbetracht dieser Situation und angesichts der Tendenz, mittels der DNA-Analyse gewonnene Daten nicht nur in einem bestimmten Strafverfahren zu verwenden, sondern diese Daten in abrufbaren Datenbanken auch für andere Strafverfahren zugänglich zu machen, fordern die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder ergänzend zu §§ 81e und f StPO für die automatisierte Speicherung und Nutzung von DNA-Identitätsdaten eine spezielle gesetzliche Regelung in der Strafprozessordnung, um das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen zu schützen:

Es muss ein grundsätzliches Verbot der Verformelung und Speicherung solcher Analyseergebnisse statuiert werden, die inhaltliche Aussagen über Erbanlagen ermöglichen.

Im Hinblick auf die nicht auszuschließende Möglichkeit künftiger Rückschlüsse auf genetische Dispositionen ist bereits jetzt ein striktes Nutzungsverbot für persönlichkeitsrelevante Erkenntnisse zu statuieren, die aus den gespeicherten Verformelungen der DNA resultieren.

Wenn zum Zweck des Abgleichs mit Daten aus anderen Verfahren (also zu erkennungsdienstlichen Zwecken) DNA-Informationen automatisiert gespeichert werden sollen (DNA-Datenbank mit der Funktion, die bei Fingerabdrücken die AFIS-Datenbank des BKA besitzt), müssen darüber hinaus folgende Regelungen geschaffen werden:

Nicht jede DNA-Analyse, die zum Zweck der Aufklärung einer konkreten Straftat erfolgt ist, darf in diese Datei aufgenommen werden. Die Speicherung von Verformelungen der DNA-Struktur in eine Datenbank darf nur dann erfolgen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß der Beschuldigte künftig strafrechtlich in Erscheinung treten wird und dass die Speicherung aufgrund einer Prognose unter Zugrundelegung des bisherigen Täterverhaltens die künftige Strafverfolgung fördern kann.

Eine Speicherung kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn der Tatverdacht gegen den Beschuldigten ausgeräumt wurde. Bereits erfolgte Speicherungen sind zu löschen. Gleiches gilt für den Fall, dass die Anordnung der DNA-Untersuchung oder die Art und Weise ihrer Durchführung unzulässig war.

Die Aufbewahrungsdauer von Verformelungen der DNA-Struktur ist konkret festzulegen (z.B. gestaffelt nach der Schwere des Tatvorwurfs).

Voraussetzung für Gen-Analysen muss in jedem Fall mindestens die richterliche Anordnung sein, unabhängig davon, ob die Daten in einem anhängigen Strafverfahren zum Zweck der Straftatenaufklärung, wie in § 81 f Absatz 1 Satz 1 StPO normiert, oder ob sie zum Zweck der künftigen Strafverfolgung (also zu Zwecken des Erkennungsdienstes) benötigt werden.

Ein DNA-Screening von Personengruppen, deren Zusammensetzung nach abstrakt festgelegten Kriterien ohne konkreten Tatverdacht gegenüber Einzelnen erfolgt, führt im Regelfall zur Erhebung von DNA-Daten zahlreicher völlig unbeteiligter und unschuldiger Bürger. Die Daten dieser Personen sind unmittelbar dann zu löschen, wenn sie für das Anlassstrafverfahren nicht mehr erforderlich sind. Sie dürfen nicht in verfahrensübergreifenden DNA-Dateien gespeichert werden und auch nicht mit solchen Datenbeständen abgeglichen werden.