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VII. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.2003 - 31.03.2005

18.3 DNA-Analyse - Gewaltige Entwicklung und Ausweitungen im Strafverfahren

Die aus einigen Ländern in besonderer Weise in die Diskussion gebrachte Absenkung der rechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen für genetische Untersuchungen hat die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder veranlasst, ihre Besorgnis über eine weitergehende Beeinträchtigung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung im Rahmen einer Entschließung zu verdeutlichen und Bund und Länder aufzufordern, bei der Erweiterung der DNA-Analyse Augenmaß zu bewahren (Anlage 10).
Wegen der sich exponentiell entwickelnden quantitativen und qualitativen Nutzungsmöglichkeiten der DNA-Analyse hatten die Datenschutzbeauftragten bereits kurz zuvor dringenden Regelungsbedarf bei Bundestag und Bundesregierung angemahnt (Anlage 1).

Entgegen immer wieder zu vernehmender Äußerungen ist eine DNA-Untersuchung nicht mit der Auswertung eines herkömmlichen Fingerabdrucks zu vergleichen. Die Verwendung des Begriffs „genetischer Fingerabdruck” ist irreführend und soll offenbar den Boden für die breiteste Nutzung dieses Instruments bereiten.
Dies stellt für alle Bürgerinnen und Bürger ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar. Denn es scheint in absehbarer Zeit möglich zu sein, wesentliche Teile des genetischen Status und der Prädisposition eines Menschen aus solchen Untersuchungen abzuleiten. Auch soweit nur die nicht-codierenden Teile der DNA untersucht werden - nur dies ist nach der Rechtsprechung des BVerfG verfassungsrechtlich zulässig -, können schon heute weitergehende Zusatzinformationen (wie z.B. das Geschlecht und Wahrscheinlichkeitsaussagen zu Altersabschätzungen, Zuordnung zu bestimmten Ethnien sowie Anhaltspunkte hinsichtlich einzelner Krankheiten) gewonnen werden; was zum Teil - wegen der Verwendung industriell vorgefertigter Untersuchungskits - zwangsläufig geschehen kann und geschieht. Dies ist ein deutliches Mehr an Information, als die Erfassung und Auswertung eines zwar genetisch festgelegten, aber nur äußerlich wahrnehmbaren singulären Merkmals, wie des Fingerabdrucks, ergeben kann.

Die in diesem Zusammenhang häufiger zu hörende abwehrende Äußerung, man könne den Ermittlungsbehörden nicht unterstellen, dass sie bewusst Daten aus dem codierenden Bereich des Genoms auswerteten und speicherten, ist problematisch. Es wird unzutreffend unterstellt, Kritiker würden den Ermittlern Missachtung der rechtlichen Regelungen vorwerfen. Solche Vorwürfe werden jedoch kaum erhoben. Entscheidender ist, dass im Zusammenhang mit solchen „Verteidigungsreden” in der Regel übersehen wird, dass bereits die Abnahme von Körpersubstanz eine Erhebung aller genetischer Daten der Betroffenen bzw. die Spurenaufnahme die umfassende Erhebung personenbeziehbarer Daten und damit einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellen kann. Das Genom des Menschen ist letztlich die wesentliche „Datenbank” zu seiner Existenz als Individuum.

Ferner besteht in höherem Maße als bei Fingerabdrücken die Gefahr, dass Daten Unbeteiligter verarbeitet und genutzt werden. Denn deren „genetisches Material” kann an nahezu allen Tatorten vorhanden sein - z.B. kleinste Hautpartikel oder Haare. Weitere Überprüfungen werden zeigen müssen, ob die in den Medien wiederholt zu lesende Darstellung aus dem Polizeibereich, dass die DNA-Analyse nur ein Baustein der Ermittlungsarbeit sein könne, sich in den Akten und Dateien der Ermittlungsbehörden widerspiegelt.

Die Datenschutzbeauftragten sehen die Erweiterungen des Einsatzes der DNA-Analyse daher kritisch. Sie appellieren an die Regierungen und Gesetzgeber des Bundes und der Länder, die DNA-Analyse nicht zum Routinewerkzeug jeder erkennungsdienstlichen Behandlung werden zu lassen. Sie darf nicht zum alltäglichen polizeilichen Eingriffsinstrument im Rahmen der Aufklärung und Verhütung insbesondere von Straftaten mit geringem Unrechtsgehalt werden. Auf eine Prognoseentscheidung hinsichtlich der Gefahr der Begehung weiterer erheblicher Straftaten durch den jeweiligen Täter und auf eine richterliche Entscheidung als Voraussetzung einer DNA-Analyse darf nicht verzichtet werden.
Auch sollte die in anderen Ländern geübte, aber rechtlich bedenkliche Praxis, DNA-Analysen ohne einen richterlichen Beschluss ausschließlich auf der Grundlage einer Einwilligung der Betroffenen durchzuführen, weiterhin ausgeschlossen bleiben. Denn es ist immer die Frage zu stellen, wie freiwillig eine Erklärung faktisch ist, die unter den besonderen Bedingungen z.B. einer Untersuchungshaftsituation oder auch nachbarschaftlicher Beobachtung erteilt wird.
Der Landesbeauftragte informierte das Ministerium der Justiz und das Ministerium des Innern über die Entschließung zur DNA-Analyse.
Er machte dabei nachdrücklich deutlich, dass - bei aller Berechtigung zum Einsatz dieser außerordentlichen Form der Datenerhebung zur Aufklärung ebenso außerordentlicher Deliktsfälle - die Schwere des Eingriffs in die Grundrechte vieler Menschen nicht außer Acht gelassen oder gar durch einen naiven Vergleich mit daktyloskopischen Untersuchungen relativiert werden darf. Dies gebietet das Menschenbild des Grundgesetzes, welches von der Würde des Einzelnen und seiner Unbescholtenheit ausgeht. Mit dieser Grundvoraussetzung ist es nicht vereinbar, dass Daten unbescholtener Bürgerinnen und Bürger in gleicher Weise wie jene von Kriminellen erhoben und in Dateien bzw. Registern der Strafverfolgungsbehörden geführt werden.
Er verband die Übersendung der Entschließung mit der Erwartung, dass die dort niedergelegten Überlegungen bei weiteren gesetzesändernden Vorhaben Berücksichtigung finden werden.

Angesichts eines im Februar 2005 im Bundesrat eingebrachten Gesetzesantrags von vier Ländern sah die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder die Notwendigkeit, erneut die besondere Qualität des Grundrechtseingriffs, welchen insbesondere die staatlich veranlasste Untersuchung/Ausforschung des genetischen Substrats von Menschen beim Einsatz der DNA-Analyse darstellt, in das öffentliche Bewusstsein zu rücken (Anlage 26). Auch wenn der Gesetzesantrag im Bundesrat keine Mehrheit fand, bleibt das Thema etwa infolge von Initiativen im Bundestag und Überlegungen innerhalb der Bundesregierung auf der Tagesordnung.