III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1995 - 31.03.1997
21.3 Strafverfahrensänderungsgesetz
Zum Jahresende 1996 legte die Bundesregierung einen weiteren Entwurf für ein Strafverfahrensänderungsgesetz 1996 (StVÄG-E) vor. Mit dem Entwurf sollen endlich bereichsspezifische Rechtsgrundlagen für die strafprozessuale Ermittlungstätigkeit und die Verwendung personenbezogener Informationen, die in einem Strafverfahren erhoben worden sind, geschaffen werden. Schwerpunkte sind dabei Regelungen über die Öffentlichkeitsfahndung und die Inanspruchnahme der Medien, Regelungen über die Erteilung von Aktenauskünften und Akteneinsichten für Justizbehörden, andere öffentliche Stellen und Private sowie die Übermittlung von Erkenntnissen für Forschungszwecke. Darüber hinaus finden sich Regelungen, unter welchen Voraussetzungen die Polizeibehörden künftig personenbezogene Informationen, die zunächst allein für die Zwecke der Strafverfolgung erhoben worden sind, auch für präventiv-polizeiliche Zwecke verwenden dürfen. Nicht aufgenommen wurde in den Gesetzentwurf, entgegen ursprünglichen Überlegungen der Bundesregierung, die Einführung der Zulässigkeit des Abhörens von Wohnungen mit technischen Mitteln (sog. „Großer Lauschangriff”, vgl. hierzu Ziff. 21.4).
Der Landesbeauftragte hatte Gelegenheit, zu dem Gesetzentwurf Stellung zu nehmen. Seine Bedenken konzentrieren sich im wesentlichen auf folgende Punkte:
die mangelnde Bestimmtheit der Voraussetzungen für Maßnahmen der Öffentlichkeitsfahndung sowie eine fehlende Differenzierung zwischen Beschuldigten und Zeugen und die nicht ausreichende Berücksichtigung von Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten bei der Durchführung einer Öffentlichkeitsfahndung,
unverhältnismäßig weite Auskunftserteilungsmöglichkeiten aus den Ermittlungs- und Strafakten an Privatpersonen und Stellen, die nicht Verfahrensbeteiligte sind,
unzureichende Regelungen über Inhalt, Ausmaß und Umfang der personenbezogenen Dateien und Informationssysteme bei den Staatsanwaltschaften, mit der Folge, daß nahezu unbeschränkt Zentraldateien oder gemeinsame Dateien eingerichtet werden können,
zu weitgehende Zugriffsmöglichkeiten auf diese Sammeldateien durch alle Strafverfolgungs- und Strafjustizbehörden,
eine Außerkraftsetzung von Maßnahmen des technischen und organisatorischen Datenschutzes, die in allen sonstigen staatlichen Tätigkeitsbereichen zum Standard gehören (z.B. Protokollierung, interne Zugriffsbeschränkungen etc.).
Dem Ministerium der Justiz wurden die Kritikpunkte mit der Bitte um Unterstützung bei den Beratungen des Bundesrates übermittelt. Eine Stellungnahme des Ministeriums lag bei Redaktionsschluß noch nicht vor.
Dafür hat der Bundesrat inzwischen in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf einige weitere datenschutzrechtliche Verschlechterungen beschlossen.
Beispielhaft seien hier nur genannt:
die Streichung des Richtervorbehaltes für die Anordnung der Öffentlichkeitsfahndung und der längerfristigen Observation,
die Streichung der Verwendungsbeschränkungen für Daten, die mit besonderen Erhebungsmethoden nach dem Polizeirecht erhoben wurden, für Zwecke der Strafverfolgung,
die Aufhebung der allgemeinen Zweckbindungsregelungen der Datenverarbeitung für öffentliche Stellen gegenüber Strafverfolgungsbehörden,
eine erhebliche Erweiterung der Auskunfts- und Akteneinsichtsrechte auch für andere öffentliche Stellen,
die Streichung der im Gesetzentwurf noch vorhandenen detaillierten Regelungen, in welchen Fällen Strafverfolgungs- und Strafjustizbehörden personenbezogene Daten von Amts wegen an andere Stellen übermitteln dürfen, die im weitesten Sinne mit der Strafrechtspflege zu tun haben,
die ersatzlose Streichung der im Entwurf noch vorhandenen Streichungs- und Löschungsfristen für personenbezogene Daten in Dateien,
die Beseitigung der im Entwurf noch vorgesehenen Kontrollverfahren für automatisierte Abrufverfahren nebst Wegfall der Verwendungsbeschränkungen der Protokolldaten.
Es bleibt nunmehr abzuwarten, ob der Gesetzentwurf bei den kommenden Beratungen im Bundestag noch einige datenschutzrechtliche Verbesserungen erfahren wird.