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III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1995 - 31.03.1997

7.2 EUROPOL

Gegen das am 26.07.1995 von den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union unterzeichnete Übereinkommen über die Errichtung eines europäischen Polizeiamtes (EUROPOL-Konvention) sind seitens des Landesbeauftragten (II. Tätigkeitsbericht, S. 33) und seiner Kollegen in Bund und in den Ländern aus unterschiedlichen Gründen schon frühzeitig Bedenken erhoben worden. Es ist zu befürchten, daß die in der Konvention vorgesehenen Verwendungsmöglichkeiten der Daten, ohne eine ausreichende direkte Kontrolle, die Polizeibehörden der Bundesländer von ihrer Verantwortung für die von ihnen eingegebenen Personendaten abkoppeln. Dies kann zu erheblichen Gefährdungen der Rechte Betroffener führen. Denn sind die personenbezogenen Daten erst einmal in der EUROPOL-Datenbank, sind ihre weitere Nutzung dort und die Folgen einer Datenübermittlung in andere EU-Staaten, u.U. sogar in Staaten außerhalb der EU, nicht mehr kontrollierbar. 
Voraussetzung der Datenspeicherung bei EUROPOL ist keine Einwilligung des Betroffenen und keine staatsanwaltschaftliche oder richterliche Anordnung. Es genügt die - vom Betroffenen oft gar nicht bemerkte - Aufnahme in die polizeiliche Datei eines Vertragsstaates der EU im Zusammenhang mit einer Straftat, für die EUROPOL nach der Konvention zuständig sein soll. EUROPOL nimmt seine Aufgaben und den Umgang mit den Daten "freischwebend" wahr; kein Staatsanwalt, kein Richter leitet die Ermittlungen, kein Minister ist für die Tätigkeit verantwortlich und kein Parlament kontrolliert es. Der Direktor und die anderen EUROPOL-Bediensteten dürfen von keiner Regierung, Behörde, Organisation oder EUROPOL-fremden Personen Weisungen entgegennehmen. Der von den nationalen Regierungen beschickte Verwaltungsrat darf im wesentlichen nur Rahmenbedingungen festlegen, in die konkrete Aufgabenerfüllung aber nicht eingreifen. Die einzige - eingegrenzte - Kontrolle wird durch eine "Gemeinsame Kontrollinstanz" wahrgenommen, die von den Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten beschickt wird und deren Mitglieder richterliche Unabhängigkeit genießen. 
Ein Ausschuß dieser "Gemeinsamen Kontrollinstanz" verfügt über eine bescheidene richterliche Entscheidungs- und Rechtsgestaltungskompetenz. Sie bezieht sich aber nur auf Beschwerden und Streitigkeiten über den Auskunftsanspruch oder den Berichtigungs- und Löschungsanspruch eines Betroffenen. EUROPOL soll künftig nicht nur Vermittlungsstelle für die EU-Polizeien sein, sondern auch eigenständige Analysen mit den eingespeicherten Daten vornehmen. Dabei ist bislang noch nicht abschließend festgelegt, welche Qualität (harte oder weiche Daten) die in die Analyse einbezogenen personenbezogenen Daten haben müssen und inwieweit sie den Betroffenen "entblättern" dürfen (Herkunft, Lebensgewohnheiten u.a.). 
Schwerwiegende Bedenken ergeben sich auch zu den bisher vorgelegten Entwürfen der Mitgliedsstaaten der EU für Durchführungsbestimmungen zu den Analysedateien. Gemeinsam ist allen Vorschlägen, daß sie vor allem in ihrem Umfang der Datenerhebung sehr weitgehend sind und bisher jegliche Differenzierung zwischen Tatverdächtigen und Tätern einerseits, sowie Zeugen, Hinweisgebern, Opfern, Kontakt- und Begleitpersonen und sonstigen Informanten andererseits, vermissen lassen. Daneben werden Datenkategorien für die Aufnahme in die Analysedateien genannt, die zumindest in dieser Häufung in keiner deutschen polizeilichen Datei vorkommen dürfen: z.B. Namen der Eltern, Ausbildungen, wirtschaftliche Verhältnisse, Verhaltensmerkmale bis hin zu Charaktermerkmalen, DNA-Profile (sog. "genetische Fingerabdrücke"), Verweise auf Speicherungen in nicht-polizeilichen Datenbanken etc.. 
Hinzu kommt, daß die Speicherung darin nach den vorgelegten Entwürfen bereits dann möglich sein soll, wenn sie für Zwecke "der Analyse" erforderlich ist. Beurteilungsmaßstab für die Speicherung ist also nicht etwa die Notwendigkeit der Verfolgung oder Verhütung von Straftaten, sondern ein von EUROPOL selbst bestimmter, unklarer Zweck!

Inzwischen hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Ratifizierung und Ausführung der EUROPOL-Konvention vorgelegt. Dieser Entwurf läßt allerdings die klare Tendenz erkennen, daß die polizeirechtlichen Kompetenzen zu Lasten der bisher zuständigen Länder, mit allen datenschutzrechtlichen Konsequenzen, auf den Bund verlagert werden sollen. So ist beispielsweise das Bundeskriminalamt als alleinige Auskunftsstelle vorgesehen. Für die Anlieferung der Daten aus den Ländern über das BKA an EUROPOL soll ausschließlich Bundesrecht gelten und bei der Datenschutzkontrolle wird dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz die maßgebliche Rolle bei den datenschutzrechtlichen Kontrollen eingeräumt. 

In die erste Stellungnahme des Bundesrates zu diesem Gesetzentwurf ist ein Antrag Sachsen-Anhalts aufgenommen worden, wonach in der "Gemeinsamen Kontrollinstanz" in den Fällen, in denen Interessen der Länder berührt werden, die Stellungnahme des Ländervertreters eine maßgebliche Berücksichtigung finden soll. Gestärkt werden soll auch die Stellung des Ländervertreters im Verwaltungsrat von EUROPOL. Die Umsetzung dieser Anträge im Gesetz würde die materiell-rechtliche Verantwortlichkeit der Länder für ihre Daten stärken. 

Das Gesetzgebungsverfahren war bei Redaktionsschluß noch nicht abgeschlossen, so daß die weitere Entwicklung auch künftig vom Landesbeauftragten kritisch begleitet wird.