Entschließung der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 14./15. März 1996 - Grundsätze für die öffentliche Fahndung im Strafverfahren
Bei den an die Öffentlichkeit gerichteten Fahndungsmaßnahmen nach Personen (Beschuldigten, Verurteilten, Strafgefangenen und Zeugen) wird stets das Recht des Betroffenen auf informationelle Selbstbestimmung eingeschränkt. Es bedarf daher nach den Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts im Volkszählungsurteil vom 15.12.1983 für alle Maßnahmen der öffentlichen Fahndung nach Personen einer normenklaren und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden gesetzlichen Regelung, die bisher fehlt.
Der Gesetzgeber hat zunächst die Voraussetzungen der öffentlichen Fahndung zu regeln und dabei einen sachgerechten Ausgleich zwischen dem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse und dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Betroffenen zu treffen.
Die öffentliche Fahndung sollte nur bei Verfahren wegen Verletzung bestimmter vom Gesetzgeber zu bezeichnender Straftatbestände und bei Straftaten, die aufgrund der Art der Begehung oder des verursachten Schadens ein vergleichbares Gewicht haben, zugelassen werden. Sie soll nur stattfinden, wenn weniger intensive Fahndungsmaßnahmen keinen hinreichenden Erfolg versprechen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit mit der gebotenen Beschränkung des Verbreitungsgebiets ist auch bei der Auswahl des Mediums zu berücksichtigen.
Bei der öffentlichen Fahndung nach unbekannten Tatverdächtigen, Beschuldigten, Angeschuldigten, Angeklagten einerseits und Zeugen andererseits erscheint es geboten, die Entscheidung, ob und in welcher Weise gefahndet werden darf, grundsätzlich dem Richter vorzubehalten; dies gilt nicht bei der öffentlichen Fahndung zum Zwecke der Straf- oder Maßregelvollstreckung gegenüber Erwachsenen.
Bei Gefahr in Verzug kann eine Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft vorgesehen werden; dies gilt nicht bei der öffentlichen Fahndung nach Zeugen. In diesem Falle ist unverzüglich die richterliche Bestätigung der Maßnahme einzuholen. Die öffentliche Fahndung nach Beschuldigten setzt voraus, daß ein Haftbefehl oder Unterbringungsbefehl vorliegt bzw. dessen Erlaß nicht ohne Gefährdung des Fahndungserfolges abgewartet werden kann.
Eine besonders eingehende Prüfung der Verhältnismäßigkeit hat bei der Fahndung nach Zeugen stattzufinden.
Eine öffentliche Fahndung nach Zeugen darf nach Art und Umfang nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Zeugenaussage für die Aufklärung der Straftat stehen. Hat ein Zeuge bei früherer Vernehmung bereits von seinem gesetzlichen Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch gemacht, so soll von Maßnahmen der öffentlichen Fahndung abgesehen werden.
In Unterbringungssachen darf eine öffentliche Fahndung mit Rücksicht auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nur unter angemessener Berücksichtigung des gesetzlichen Zwecks der freiheitsentziehenden Maßregel, insbesondere der Therapieaussichten und des Schutzes der Allgemeinheit angeordnet werden.
Die öffentliche Fahndung zur Sicherung der Strafvollstreckung sollte zur Voraussetzung haben, daß
eine Verurteilung wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt und
der Verurteilte, der sich der Strafvollstreckung entzieht, (noch) eine Restfreiheitsstrafe von in der Regel mindestens einem Jahr zu verbüßen hat, oder ein besonderes öffentliches Interesse, etwa tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung weiterer Straftaten von erheblicher Bedeutung, an der alsbaldigen Ergreifung des Verurteilten besteht.
Besondere Zurückhaltung ist bei internationaler öffentlicher Fahndung geboten. Dies gilt sowohl für Ersuchen deutscher Stellen um Fahndung im Ausland als auch für Fahndung auf Ersuchen ausländischer Stellen im Inland.
Öffentliche Fahndung unter Beteiligung der Medien sollte in den Katalog anderer entschädigungspflichtiger Strafverfolgungsmaßnahmen des § 2 Abs. 2 StrEG aufgenommen werden.
Durch Ergänzung des § 7 StrEG sollte in solchen Fällen auch der immaterielle Schaden als entschädigungspflichtig anerkannt werden.
Der Gesetzgeber sollte vorsehen, daß auf Antrag des Betroffenen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht öffentlich bekanntzumachen ist.