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IV. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1997 - 31.03.1999

21.11 Übermittlung personenbezogener Daten aus Ermittlungsakten

Im Rahmen einer Petition wurde anhand der vorgelegten Unterlagen folgender Sachverhalt festgestellt:
Eine Staatsanwaltschaft beantragte im Zuge eines Ermittlungsverfahrens mit einem Sammelantrag für insgesamt 24 Beschuldigte, darunter dem späteren Petenten, beim zuständigen Amtsgericht Beschlüsse für die Entnahme von Speichelproben und deren molekular-genetische Untersuchung (DNA-Analyse).
Die Beschlüsse wurden antragsgemäß erlassen. Keiner der Betroffenen war der Spurenleger. Das Ermittlungsverfahren gegen den Petenten wurde deshalb eingestellt.
Der Petent fühlte sich aber zu Recht durch die Maßnahme als Unschuldiger betroffen und beauftragte ca. 7 Monate später einen Rechtsanwalt. Dieser bat unter Vorlage einer Vollmacht nach einer Akteneinsicht um eine Kopie des Antrags der Staatsanwaltschaft für den Beschluß gegen seinen Mandanten und erklärte, ein Fax sei für die Übersendung ausreichend.
Der zuständige Staatsanwalt verfügte daraufhin eine Ablichtung des Sammelantrages und dessen Übersendung per Telefax. Dabei wurden die umfangreichen personenbezogenen Daten der weiteren 23 im Antrag aufgeführten Beschuldigten mit übermittelt, obwohl sie seitens des aktenkundigen Rechtsanwalts weder angefordert noch für dessen Aufgabenwahrnehmung erforderlich waren.
Der Landesbeauftragte ist der Auffassung, daß die Übersendung des Antrags ohne die erforderliche Rechtsgrundlage und unter Verstoß gegen die Schutzvorschrift des § 6 DSG-LSA erfolgte.

Nach § 147 Abs. 1 StPO ist ein Verteidiger befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder diesem im Fall der Erhebung der Anklage vorzulegen wären, einzusehen sowie amtlich verwahrte Schriftstücke zu besichtigen. Es ist aber nach der eindeutigen Aktenlage klar, daß der Rechtsanwalt sich im Verfahren nicht als Verteidiger des Petenten legitimiert hat (warum auch, das Verfahren war längst eingestellt), sondern, ausweislich der ordnungsgemäßen Vollmacht, um als Rechtsanwalt Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gegen die Polizei eines anderen Bundeslandes geltend zu machen. Damit entfiel § 147 Abs. 1 StPO als Rechtsgrundlage für die Datenübermittlung.
Auch wenn man dem Rechtsanwalt einen Verteidigerstatus zugestehen wollte, ist § 147 StPO keine schrankenlose Vorschrift zur Datenübermittlung. Die Norm und die darauf gestützten Rechtseingriffe in die Grundrechte der Betroffenen sind vielmehr anhand der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Geeignetheit und Erforderlichkeit der zur Übermittlung vorgesehenen Daten verfassungskonform auszulegen und anzuwenden.
Die Vorschrift dient dem Zweck einer wirksamen Verteidigung. Dem Anspruch des Rechtsanwaltes des Petenten zur Ermöglichung einer wirksamen Verteidigung wäre mit der Übersendung des Beschlusses betreffend seines Mandanten oder des Antrages der Staatsanwaltschaft unter Schwärzung der personenbezogenen Angaben zu weiteren Beschuldigten genüge getan gewesen. Erkenntnisse zu anderen Beschuldigten oder sonstigen Beteiligten können vom Anspruch auf wirksame Verteidigung nur dann erfaßt werden, wenn sich hieraus schuld- oder rechtsfolgenrelevante Umstände ergeben würden. Dies war hier unstreitig nicht der Fall. Der Petent sowie die weiteren 23 Personen standen in keinerlei persönlichen oder sachlichen Beziehungen zueinander, sondern waren völlig unabhängig voneinander vom staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren erfaßt worden. Die Übersendung des Gesamtantrages mit einer Vielzahl von Drittdaten wäre damit auch im Rahmen des § 147 StPO unverhältnismäßig gewesen.

Der Landesbeauftragte weist seit Jahren darauf hin, daß Telefaxgeräte wegen ihrer vielen Fehlerquellen nur in Ausnahmefällen zur Übermittlung personenbezogener Daten eingesetzt werden dürfen (II. Tätigkeitsbericht, S. 91, III. Tätigkeitsbericht, S. 62 und Ziff. 13.2 dieses Tätigkeitsberichtes). Dann sind besondere Schutzvorkehrungen zu treffen.
Dies ergibt sich aus § 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 9 DSG-LSA i.V. mit den dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften (MBl. 1993, 2485, und 1995, 388). Einen Spielraum gibt es nur bei der gebotenen Abwägung zwischen Arbeitsablaufverzögerungen und Kosten einerseits und der Sensibilität und Schutzwürdigkeit der personenbezogenen Daten andererseits.
Im vorliegenden Fall waren weder der Arbeitsaufwand noch der geringe Zeitverlust bei der vergleichsweise viel sicheren Briefversendung eine berücksichtigenswerte Größe. Besondere Eile bestand ebenfalls nicht. Der Anwalt hatte den Übermittlungsweg offen gelassen.

Der Landesbeauftragte hat diesen Fall angesichts der Schwere der Rechtseingriffe in die Grundrechte einer Vielzahl Betroffener förmlich beanstandet.
Das Ministerium der Justiz hat in wenig überzeugender Weise versucht, dem Rechtsanwalt den Status als Verteidiger zukommen zu lassen und die Übermittlung auch der Fremddaten verteidigt. Hinsichtlich der Benutzung von Telefaxgeräten hat es immerhin der betroffenen Staatsanwaltschaft künftig einen vorsichtigeren Umgang mit diesem Übermittlungsweg nahe gelegt.