IV. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1997 - 31.03.1999
21.13 Ein bissiger Hund - und seine Bewältigung durch die Staatsanwaltschaft
Aufgrund einer Eingabe hatte der Landesbeauftragte sich mit folgendem Sachverhalt zu befassen:
Ein Kind war von einem aus einem eingezäunten Grundstück gesprungenen Hund gebissen worden, und die Mutter erstattete Anzeige bei der Polizei. Diese kannte bereits den nicht ungefährlichen Hund und die Sorglosigkeit seiner "Halterfamilie" aus früheren Beschwerden. Befragungen und Vernehmungen von Zeugen ergaben unterschiedliche Angaben dazu, wer in dieser Familie eigentlich der rechtlich verantwortliche Hundehalter sein sollte. Ohne dies weiter aufzuklären, suchte sich der zuständige Amtsanwalt die Petentin in der Halterfamilie als Schuldige heraus und beantragte gegen diese zunächst einen Strafbefehl. Als die Petentin dagegen Einspruch mit der Begründung einlegte, sie sei für den Hund nicht verantwortlich, veranlaßte auch dies den Amtsanwalt nicht zur Sachaufklärung, sondern er firmierte den falschen Strafbefehl gegen die Petentin kurzerhand in eine Anklage vor dem Amtsgericht um. In der Hauptverhandlung ergab sich dann, daß nicht die Petentin, sondern ihr Sohn Halter des Hundes war. Die Petentin wurde freigesprochen.
Im Rahmen der Durchführung eines neuen Strafverfahrens gegen den Sohn der vermeintlichen Halterin wurden Ablichtungen aus deren Strafakte gefertigt, u.a. der Strafanzeige der Mutter des Geschädigten, der Zeugenvernehmung des Geschädigten, des Vermerks des Polizeireviers, des Strafbefehls gegen die Petentin sowie deren Einspruch, des Protokolls der Hauptverhandlung und des freisprechenden Urteils.
Keinen datenschutzrechtlichen Bedenken unterlag die dazu getroffene Verfügung der Staatsanwaltschaft, wonach Ablichtungen aus dem vorherigen Verfahren gegen die Petentin gefertigt und in das neue Verfahren gegen ihren Sohn übernommen wurden. Auch wenn in diesem Falle eine Zweckänderung der personenbezogenen Daten vorliegt, beruht diese auf gesetzlicher Grundlage und war zulässig. Das der Petentin zustehende Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) wurde dadurch nicht berührt.
Allerdings hat die Staatsanwaltschaft nach Auffassung des Landesbeauftragten zum Nachteil der Petentin gegen die umfassende Sachaufklärungspflicht gem. §§ 160 Abs. 2, 161 StPO verstoßen. Danach ist es Amtspflicht der Staatsanwaltschaft, einen Sachverhalt umfassend zu erforschen. Dabei sind nicht nur zur Belastung, sondern auch zur Entlastung dienende Umstände zu ermitteln.
Die Vorschriften der §§ 160 Abs. 2, 161 StPO sind insoweit als bereichsspezifische Vorschriften über den Datenschutz zu qualifizieren, die der datenschutzrechtlichen Pflicht entsprechen, nur richtige personenbezogene Daten zu erheben und zu verarbeiten (§ 16 DSG-LSA). Jeder unbeteiligte Bürger hat von Verfassungs wegen einen Anspruch darauf, nicht leichtfertig, ohne genügenden Grund oder ohne Beachtung der zu seinem Persönlichkeitsschutz getroffenen gesetzlichen Regelungen in der Strafprozeßordnung mit einem Strafbefehlsantrag oder einer Anklage überzogen zu werden.
Da bereits durch Zeugenaussagen sowie die Aussage der Anzeigenerstatterin selbst unklar war, wer rechtlich die Verantwortung für den Hund trug, hätte allein die Tatsache, daß der Hund zu einem Grundstück gehörte, das von mehreren Familienmitgliedern bewohnt wurde, Anlaß geben müssen, den Halter oder die Halterin oder den Aufsichtspflichtigen sorgfältig zu ermitteln. Ermittelt wurde zu diesen Punkten schlicht nichts.
Der Landesbeauftragte sieht es nicht als seine Aufgabe an, im Rahmen des ihm obliegenden eigenständigen Kontrollauftrages (Art. 63 Abs. 1 LVerf) eine fachspezifische Wertung im Ermittlungsverfahren vorzunehmen. Wird aber eine Grundregel des Prozeßrechtes nicht ansatzweise beachtet und kommt es in der Folge zu einem schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht, kann ein solcher Verstoß nicht übersehen werden.
Der Landesbeauftragte hat angesichts der besonderen Rechtspflichten einer Staatsanwaltschaft eine formelle Beanstandung für geboten gehalten.
Das Ministerium der Justiz hat die Beanstandung zurückgewiesen. Es hält die genannten Bestimmungen der StPO, insbesondere § 160 Abs. 2 StPO, nicht für vom Landesbeauftragten prüffähige Vorschriften über den Datenschutz. Des weiteren hat das Ministerium angeführt, die Entscheidung der Staatsanwaltschaft sei unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt (Unterlassungsdelikt) jedenfalls noch vertretbar.