Menu
menu

IV. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1997 - 31.03.1999

21.7 Öffentlichkeitsfahndung mit Mängeln

Im Süden des Landes drang ein Mann in ein Privathaus ein, tötete zwei Menschen und vergewaltigte zwei Frauen. Trotz der durchgestandenen qualvollen Stunden waren die Frauen in der Lage, eine relativ detaillierte Täterbeschreibung abzugeben. Staatsanwaltschaft und Polizei legten den beiden Opfern aufgrund eines Fahndungshinweises des Bundesgrenzschutzes im Rahmen einer Wahllichtbildvorlage auch das Lichtbild eines entflohenen Strafgefangenen vor. Nachdem die Frauen meinten, ihren Peiniger erkannt zu haben, löste der Staatsanwalt, ohne einen Haftbefehl durch den erreichbaren Bereitschaftsrichter abzuwarten, eine breite Öffentlichkeitsfahndung aus.
24 Stunden später stand nach Abschluß der Tatortuntersuchung und Auswertung der ersten Spuren fest, daß der bundesweit in den Medien gesuchte Mann nicht als Täter in Frage kam, sondern ein weiterer, ebenfalls entwichener Straftäter. Die Falschfahndung wurde durch einen gravierenden Mangel im bundesweiten INPOL-Fahndungssystem begünstigt. Der ermittelnden Polizeibehörde standen aufgrund eines Strukturfehlers bei diesem System Beschreibungen und Lichtbilder anderer Personen nicht als Vergleichsgrundlage zur Verfügung.

Unabhängig davon ist der Landesbeauftragte der Auffassung, daß die groß angelegte und mit schweren Rechtseingriffen verbundene Öffentlichkeitsfahndung nicht ohne die im Verfahren nach § 131 StPO notwendige Beteiligung eines Richters erfolgen durfte.
Entgegen der Auffassung des Ministeriums der Justiz und der zuständigen Staatsanwaltschaft ist die Regelung in den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV), welche bei Gefahr in Verzug auch ohne Haftbefehl eine Öffentlichkeitsfahndung zuläßt, als einfache Verwaltungsvorschrift nicht die von der Verfassung geforderte Rechtsgrundlage für Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 1 Abs. 2 i.V. mit Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 LVerf). Diese Voraussetzungen erfüllt nur eine gesetzliche Regelung. Dafür steht in der StPO z.Zt. nur § 131 zur Verfügung; dieser wurde vom Staatsanwalt ignoriert.

Wegen bestimmter Besonderheiten dieses Einzelfalls hat der Landesbeauftragte von einer förmlichen Beanstandung trotz des schwerwiegenden Rechtsmangels abgesehen.
Die rechtlichen Meinungsverschiedenheiten könnten sich für die Zukunft erledigen, weil der zuständige Bundesgesetzgeber im Entwurf des StVÄG 1999 (vgl. vorstehende Ziff. 21.2) vorgesehen hat, die Öffentlichkeitsfahndung auf eine (neue) spezielle gesetzliche Grundlage zu stellen.