V. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1999 - 31.03.2001
16.4 DNA-Identitätsfeststellung
Zwischenzeitlich ist das Gesetz zur Änderung des DNA-Identitätsfeststellungsgesetzes (DNA-IFG) vom 02. Juni 1999 in Kraft getreten.
Die Gesetzesänderung hat eine Rechtsgrundlage für die Erfassung von bereits verurteilten Straftätern (sog. retrograde Erfassung) geschaffen. Zu diesem Zweck darf das Bundeszentralregister nach den §§ 2a bis 2e DNA-IFG Auswertungen durchführen. Die Anlage zu § 2c DNA-IFG führt z.Zt. 41 Straftatbestände auf, nicht alle sind von erheblicher Bedeutung.
Im Berichtszeitraum hat sich eine Rechtsdiskussion zu folgenden Punkten ergeben:
- Reicht für die Entnahme des Analysematerials (in der Regel eine Speichelprobe) die Einwilligung des Betroffenen aus?
- Kann auch für die retrograde molekulargenetische Untersuchung und die Speicherung in der Gendatei eine Einwilligung ausreichen?
- Streitig war bis vor kurzem, ob für die Einspeicherung in die Gendatei aus laufenden Strafverfahren nach § 81g StPO eine richterliche Prognose notwendig ist.
Für die Entnahme von Analysematerial verweist § 81g Abs. 3 StPO auf § 81a Abs. 2 und § 81f StPO, d.h., für eine Entnahme von Analysematerial gegen den Willen des Betroffenen ist eine richterliche Anordnung notwendig. Im Umkehrschluß hält der Landesbeauftragte die reine Probeentnahme auch für zulässig, wenn der Beschuldigte oder der Verurteilte in diese Probeentnahme wirksam eingewilligt hat. Bei inhaftierten Personen ist allerdings sicherzustellen, daß die Verweigerung der Zustimmung keine nachteiligen Wirkungen auf Vollzugsmaßnahmen hat.
Anders beurteilt der Landesbeauftragte die Rechtslage bei der molekulargenetischen Untersuchung entnommenen Materials gem. § 81e, § 81f und § 81g Abs. 3 StPO. Hier ist in jedem Fall eine richterliche Anordnung erforderlich.
Aufgrund der Tiefe des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht durch die molekulargenetische Untersuchung ist der Richtervorbehalt unerläßlich. Für die molekulargenetische Untersuchung wird zwar vielfach der harmlos klingende Begriff "Genetischer Fingerabdruck" verwandt und damit eine Vergleichbarkeit mit der Abnahme von Fingerabdrücken suggeriert, dies ist aber nicht zutreffend. Die DNA-Analyse birgt, auch wenn sie sich im Strafprozeßrecht derzeit auf nichtcodierende Merkmale beschränkt, durch die Speicherung in der Gendatei des BKA die Gefahr und die grundsätzliche Möglichkeit weiterer Verarbeitungsschritte über die Identitätsfeststellung hinaus.
Das Erfordernis der richterlichen Anordnung gilt um so mehr im Rahmen von molekulargenetischen Untersuchungen nach § 81g StPO.
Für die sog. Negativprognose, die allein eine Untersuchung und anschließende Speicherung in der Gendatei begründen kann, darf die richterliche Anordnung nicht durch eine Einwilligung ersetzt werden.
Das würde bedeuten, daß der Betroffene eine Art von Selbstbezichtigung abgeben würde, daß bei ihm die Gefahr künftiger Strafverfahren besteht, denn nur dann dürfen molekulargenetische Untersuchung und Speicherung erfolgen.
In seiner Auffassung sieht sich der Landesbeauftragte durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom 14. Dezember 2000 (Az.: 2 BvR 1741/99) bestätigt. Danach ist vor einer Einspeicherung in die Gendatei des BKA ein richterlicher Beschluß nach § 81g StPO einzuholen. Darüber hinaus fordert das Bundesverfassungsgericht eine durch Tatsachenfeststellung begründete Einzelfallentscheidung. Eine bloße Wiederholung des Gesetzestextes und eine Aufzählung der Vorstrafen reichen entgegen der bisherigen Praxis einiger Gerichte künftig nicht mehr aus.
Erfreulicherweise wird in Sachsen-Anhalt nach Angaben des Ministeriums der Justiz in jedem Fall bei Maßnahmen nach § 81g eine richterliche Anordnung eingeholt. Das gilt zumindest für die retrograde Erfassung rechtskräftig verurteilter Personen.
Anders, so die bisherigen Erkenntnisse, sieht es aus, wenn in laufenden Ermittlungsverfahren molekulargenetische Untersuchungen angeordnet werden.
Eine Kontrolle im LKA sowie Nachfragen bei Polizeidirektionen haben ergeben, daß in diesen Fällen häufig die Prüfung des § 81g StPO durch die Polizei erfolgt und nicht durch den gesetzlich vorgesehenen Richter. Das ist bedenklich, denn die nach § 81e StPO gewonnenen Datensätze dürfen gem. § 3 Satz 3 DNA-IFG nur unter den Voraussetzungen des § 81g StPO in der DNA-Analysedatei gespeichert werden. Der Gesetzgeber ging dabei davon aus, daß im Zeitpunkt der Speicherung auf jeden Fall eine richterliche Anordnung vorliegt.
Die Intention des Gesetzgebers zielt also auch im laufenden Ermittlungsverfahren auf eine richterliche Negativprognose ab.
Die rechtspolitische Diskussion zu Einsatz und Möglichkeiten der DNA-Analyse dürfte noch lange nicht abgeschlossen sein. Die kurze und schrille Diskussion im März 2001, inwieweit nicht bei allen deutschen Männern vorsorglich ein „genetischer Fingerabdruck” erhoben und gespeichert werden sollte, zeigte neben der Gefahr emotional bedingter „Entgleisungen” ein hohes Maß an Unwissen über die tatsächlich vorhandenen und rechtlich möglichen Eingriffsmaßnahmen im Rahmen des geltenden Rechts (vgl. dazu auch die Entschließung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 12. März 2001 (Anlage 27)), ganz zu schweigen von den praktischen Problemen der Durchführung und der Geeignetheit einer solchen Maßnahme.