V. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1999 - 31.03.2001
22. Verkehr
22.1 Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln
Auch in Sachsen-Anhalt zeigt sich der bundesweit zu beobachtende Trend, in Fahrzeugen öffentlicher Verkehrsunternehmen (Buslinienverkehr und Straßenbahnen) eine Videoüberwachung der Fahrgäste durchzuführen bzw. dies probeweise einzuführen. Begründet werden diese Maßnahmen mit den allgemein zunehmenden Sachbeschädigungen (Vandalismus), Bedrohungen von Fahrgästen und der Notwendigkeit der Aufklärung von Straftaten.
In zwei Fällen erfuhr der Landesbeauftragte aus der Presse über solche beabsichtigten Videoüberwachungsvorhaben kommunaler Nahverkehrsgesellschaften in Sachsen-Anhalt. Er hat seine Zuständigkeit nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 DSG-LSA bejaht und in Rechtsgesprächen vor Ort die nicht ganz einfache Rechtslage mit den Beteiligten erörtert.
Danach ist seitens der Verkehrsunternehmen, die sich ganz im Eigentum der öffentlichen Hand befinden, zu beachten, daß in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der Bus- bzw. Straßenbahnbenutzer nur auf gesetzlicher Grundlage eingegriffen werden darf. Ob und wenn ja für welche Fälle eine solche Rechtsgrundlage vorhanden ist, ist in den Bundesländern umstritten. In Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind einzelne Pilotprojekte zugelassen worden.
Der Landesbeauftragte hat für Sachsen-Anhalt zunächst festgestellt, daß für die Verkehrsunternehmen die Vorschriften des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) und die von der Genehmigungsbehörde danach erteilte Betriebsgenehmigung zu beachten sind (§§ 37, 43 und 47 i.V.m. § 39 PBefG). Diese sehen z.Zt. keine solche Beobachtungs- und Aufzeichnungsmöglichkeiten vor.
Deshalb wurde zum Thema „Videoüberwachung” im Ministerium für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr (MWV) unter Beteiligung des Landesbeauftragten, des Ministeriums des Innern und der drei Regierungspräsidien eine Besprechung durchgeführt. Dabei wurden einvernehmlich nachfolgende Grundsätze für die Durchführung von Pilotprojekten mit Videoüberwachung erörtert und als Handlungsrahmen durch das MWV bis zu einer gesetzlichen Regelung durch den Bundesgesetzgeber für verbindlich erklärt:
1. Jede Form der Videoüberwachung - sei es nur als Beobachtung oder Aufzeichnung - stellt einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Benutzer öffentlicher Verkehrsmittel dar. Dieser bedarf grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage oder der Einwilligung des Betroffenen.
Derzeit gibt es keine bereichsspezifische gesetzliche Regelung für die Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln. Dies bedeutet aber nicht, daß eine Videoüberwachung gänzlich ausgeschlossen ist. Ihr dürfen aber insbesondere keine aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht herrührenden Abwehrrechte der Fahrgäste entgegenstehen.
2. Eine Videoüberwachung ist nur zulässig, wenn im Rahmen einer Güterabwägung festgestellt wird, daß der mit der Maßnahme zu erreichende Schutz der Fahrgäste vor gewalttätigen Übergriffen anderer Fahrgäste und des Schutzes des Eigentums des Beförderungsunternehmens vor Randalieren das Interesse der Fahrgäste am Nichtbeobachtetsein erheblich überwiegt. (So z.B. bei überdurchschnittlich vielen und hohen Sachschäden auf bestimmten Linien in den Verkehrsmitteln (Vandalismus) oder bei wiederholter Begehung von Gewalttaten).
3. Öffentliche Verkehrsunternehmen haben regelmäßig eine Monopolstellung und sind grundsätzlich zur Beförderung von Fahrgästen verpflichtet. Die Fahrgäste können nur bedingt auf andere öffentliche Verkehrsmittel ausweichen. Daher sind die Fahrgäste bei einer Videoüberwachung in öffentlichen Verkehrsmitteln in besonderem Maße der Gefahr ausgesetzt, daß sie in ihrem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt werden. Das Risiko steigt mit dem Grad der Überwachung. Der Videoüberwachung sind daher enge Grenzen gesetzt.
4. Kriterium für die Güterabwägung ist weiterhin, ob die Videoüberwachung nur zu bestimmten Zeiten erfolgt oder nur bestimmte Bereiche des Verkehrsmittels erfaßt. So ist regelmäßig eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes von Fahrgästen zu verneinen, wenn nur Teilbereiche des Verkehrsmittels videoüberwacht werden, dem Fahrgast dieses bekannt ist und er die Möglichkeit hat, sich im nicht überwachten Bereich aufzuhalten. Weiter ist entscheidend, ob per Videotechnik nur beobachtet oder auch Aufzeichnungen gefertigt werden und für welche Dauer diese Aufzeichnungen gespeichert bleiben.
5. Modellprojekte zur Videoüberwachung sind zeitlich befristet durchzuführen. Die Projekte sollten auf einen Zeitraum von 1 bis 2 Jahren beschränkt werden und eine Erfolgskontrolle einschließen.
Dabei müssen in den Betriebsanweisungen der Verkehrsunternehmen die erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen zur Sicherung der Videoaufzeichnungen festgelegt werden.
Der Landesbeauftragte regte an, bei den Pilotprojekten Einzelheiten der Videoüberwachung als Besondere Beförderungsbedingungen nach § 39 PBefG durch die Regierungspräsidien genehmigen und festlegen zu lassen.
Gleiches gilt, soweit ein Verkehrsunternehmen dem Regierungspräsidium unter Vorlage von Unterlagen darlegt, daß eine ordnungsgemäße und vor allem sichere Durchführung der Beförderung aufgrund einer Vielzahl konkreter gravierender Vorfälle nicht mehr ohne weitere Schutzmaßnahmen möglich erscheint.
Nach gegenwärtigem Kenntnisstand sind die Konzepte bei den Genehmigungsbehörden eingereicht worden. Der Landesbeauftragte wird bei Beginn der Pilotversuche wieder beteiligt.