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VII. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.2003 - 31.03.2005

18.10 Schulhofrauferei verhindert Praktikum

Die Mühlen der Justiz mahlen langsam - manchmal auch Sachen, welche nicht zu mahlen sind.
So geschah es einem Jungen, welcher zwischen jene Mühlsteine geraten war. Wie dessen Vater dem Landesbeauftragten Mitte 2004 berichtete, habe sich sein noch nicht volljähriger Sohn um einen Praktikumsplatz bei einer Staatsanwaltschaft bemüht, weil er eine Ausbildung zum Rechtspfleger anstrebe. Das begehrte Praktikum sei jedoch nicht möglich gewesen, weil in den „Akten” etwas gegen seinen Sohn vorgelegen haben soll. Auf seine Nachfrage sei ihm mitgeteilt worden, um Auskunft zu erhalten, müsse er einen Rechtsanwalt einschalten. Es sei ihm aber trotzdem bekannt geworden, dass es sich um eine „Strafanzeige” im Zusammenhang mit einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen seinem Sohn und einem etwas älteren Schüler auf einem Schulhof gehandelt habe. Sein Sohn sei damals 9 Jahre alt gewesen. Auf seine Anfrage hin habe die Staatsanwaltschaft erklärt, dass solche Vorgänge fünf Jahre lang gespeichert werden dürften. Der Petent meinte aber, dass die fünf Jahre längst abgelaufen seien.
Nach diesen Hinweisen hat der Landesbeauftragte die betreffende Staatsanwaltschaft gebeten, den einschlägigen Vorgang zu Prüfungszwecken zu sichern und ihm zu übersenden. Aus diesem ließ sich entnehmen, dass entgegen einer heranziehbaren gesetzlichen Regelung zur Datenhaltung in Dateien (§ 489 Abs. 4 Strafprozessordnung (StPO)) in der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft eine sogenannte Aussonderungsprüffrist von fünf Jahren festgelegt worden war. Da der Betroffene noch nicht strafmündig war und die besonderen Bedingungen, nach denen eine Einspeicherung der Daten eines Kindes in Verfahrensdateien hätte erfolgen können, nicht ersichtlich waren, hätte nur eine Speicherung zur Vorgangsverwaltung erfolgen können bzw. der Vorgang ggf. gesperrt werden müssen.

Aus der Akte war zudem weder ersichtlich, dass, noch warum dieser Vorgang im Zusammenhang mit einer Bewerbung um einen Praktikumsplatz verwendet worden war. Selbst wenn die Aufbewahrung rechtmäßig gewesen wäre, hätte es für die zweckändernde Verwendung einer Rechtsgrundlage bedurft.

In ihrer Stellungnahme verwies die Justiz darauf, dass Strafanzeigen gegen Kinder nach § 47 der Aktenordnung für die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit und die Staatsanwaltschaften, einer Verwaltungsvorschrift, gespeichert werden müssten und die Erfassung unter rein formalen Gesichtspunkten erfolge. Die Speicherung sei damit unabhängig von einem Anfangsverdacht bzw. einer Beschuldigteneigenschaft.

Daneben wäre eine Speicherung in einer Datei für Zwecke künftiger Strafverfahren möglich, wonach die Speicherung des Kindes nach zwei Jahren hätte geprüft werden müssen, wenn seine Daten dort gespeichert worden wären. Die Daten des Jungen wurden jedoch nach den Darlegungen der Justiz lediglich im Rahmen der Vorgangsverwaltung gespeichert und nach den Aufbewahrungsbestimmungen (gleichfalls lediglich eine Verwaltungsvorschrift) für fünf Jahre aufbewahrt.

Die Erforderlichkeit - als Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips - einer Datennutzung kann jedoch in der Regel nicht an fixen Terminen ausgerichtet werden. Im vorliegenden Fall wäre sie zudem sachlich nicht zu begründen gewesen. Dass dies auch in der Justiz so gesehen wurde, zeigt eine problematische Formulierung ihrer Stellungnahme zum Fall. Es wird dort festgestellt, dass die Speicherung der Daten „so lange erforderlich sei, wie die Akten nach den Aufbewahrungsbestimmungen aufzubewahren sind”. Wie dargelegt, handelt es sich bei diesen Bestimmungen lediglich um eine Verwaltungsvorschrift. Dies bedeutet, dass die Erforderlichkeit entgegen dem verfassungsrechtlich und gesetzlich Notwendigen nicht aus dem Einzelfall bestimmt wird, sondern überspitzt gesagt, hätte sich - nach dieser Mitteilung - die Justizverwaltung die Erforderlichkeit zur Datenhaltung selbst geschaffen. Die gesetzliche Regelung legt jedoch fest, dass zu Zwecken der Vorgangsverwaltung gespeicherte Daten zu löschen sind, wenn sie nicht mehr erforderlich sind. Diese Forderung darf nicht durch eine extensive Festlegung von Prüffristen und Speicherungsdauern in Errichtungsanordnungen umgangen werden. Auch macht dieser Fall zudem deutlich, dass die Festlegung statischer Fristen im Rahmen rechtsstaatlicher Verfahren häufig problematisch ist.

Angesichts der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit, die zur Vorgangsverwaltung gespeicherten personenbezogenen Daten auch für andere Zwecke verwenden zu dürfen (§ 485 S. 2 und 3 StPO), hätte sich zumindest die Heranziehung der Fristen von § 489 Abs. 4 StPO angeboten.
Neben der wiederholt geäußerten Forderung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder (vgl. im VI. Tätigkeitsbericht Ziff. 18.10) nach einer gesetzlichen Regelung durch ein Aktenaufbewahrungsgesetz hält der Landesbeauftragte eine Überprüfung der bestehenden Prüf- und Speicherungsfristen für angezeigt.

Die Verwendung der zu Vorgangsverwaltungszwecken gespeicherten Daten des Jungen für seine Überprüfung als Praktikumbewerber war auch nach Auffassung der zuständigen Staatsanwaltschaft mangels rechtlicher Grundlage unzulässig.
Da der Leitende Oberstaatsanwalt nach Kenntnis des Vorgangs umgehend das Erforderliche veranlasst hat, u.a. um Ähnliches künftig zu verhindern, konnte auf eine förmliche Beanstandung verzichtet werden.

Eine gleichfalls erfolgte Abfrage bei der vor fünf Jahren sachbearbeitenden Dienststelle der Polizei ergab zwar, dass die Daten des Jungen versehentlich in das damals genutzte automatische Vorgangsbearbeitungssystem der Polizei übernommen worden waren. Er wurde jedoch immer als Kind und nicht als Beschuldigter geführt. Seine Befragung erfolgte zudem durch den Jugendsachbearbeiter des Polizeireviers. Das Ministerium des Innern veranlasste vorsorglich eine Überprüfung der einschlägigen Datensätze.