VII. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.2003 - 31.03.2005
18.4 Telekommunikationsüberwachung (TKÜ), Terrorismusbekämpfung etc. - Eine Aufforderung zur Transparenz
Das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg hat im Jahr 2003 sein im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz erstelltes Gutachten ”Rechtswirklichkeit und Effizienz der Überwachung der Telekommunikation nach den §§ 100a, 100b Strafprozessordnung (StPO) und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen” vorgelegt. Darin hat es festgestellt, dass sich die Zahl der Ermittlungsverfahren, in denen TKÜ-Anordnungen erfolgten, im Zeitraum von 1996 bis 2001 um 80 % erhöht hat, sich die Zahl der jährlich Betroffenen im Zeitraum von 1994 bis 2001 fast verdreifacht hat, immer mehr Gespräche abgehört worden sind und der Anteil der staatsanwaltschaftlichen Eilanordnungen im Zeitraum von 1992 bis 1999 von ca. 2 % auf 14 % angestiegen ist.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben aus diesem Anlass eine Entschließung (Anlage 13) verabschiedet, mit der sie den Gesetzgeber und die zuständigen Behörden auffordern, Konsequenzen aus der Untersuchung des Max-Planck-Instituts zu ziehen.
Solche Untersuchungsergebnisse sollten eigentlich Anlass sein, die rechtliche Situation mit der tatsächlichen Entwicklung in Einklang zu bringen.
Dass dies leider nicht die Regel ist, wird im Zusammenhang mit den Bestimmungen zur Auskunft über Telekommunikationsverbindungsdaten, welche 2001 in Folge der Anschläge gegen das World Trade Center in New York in die StPO aufgenommen worden waren, deutlich.
Der Landesbeauftragte hält es für nicht akzeptabel, wenn den Bürgerinnen und Bürgern durch Begrenzung der Geltungsdauer einer freiheitsbeeinträchtigenden Regelung vorgespiegelt wird, diese Normen würden bis zum Ablauf der festgelegten Zeit einer Überprüfung unterzogen, und dann werden die neuen Befugnisse einfach prolongiert. Eine öffentliche Erklärung, warum die Verlängerung nötig, eine Überprüfung nicht möglich gewesen sei, geschweige denn eine angemessene parlamentarische Diskussion vor der Verlängerung der Geltungsdauer des freiheitsbegrenzenden Gesetzes war nicht festzustellen.
Das Vertrauen von Bürgerinnen und Bürgern in rechtsstaatliche Institutionen und Verfahren kann durch solche Unterlassungen beeinträchtigt werden.
Auch für die Datenschutzbeauftragten kann bei ähnlicher Praxis in künftigen Gesetzgebungsverfahren eine schwierige Situation entstehen. Sollten sie bereit sein, z.B. aufgrund einer besonderen, absehbar längerandauernden Gefahrensituation, Einschränkungen von Freiheitsrechten dann als tolerabel anzusehen, wenn ausgleichende Schutz- bzw. Verfahrensregelungen, wie z.B. eine befristete Geltung und/oder eine Überprüfungsverpflichtung bezüglich der belastenden Norm fixiert werden, dann dürfen Befristungen nur nach ausreichender Begründung und öffentlicher Diskussion verlängert oder aufgehoben werden.
Der nächste Prüfstein in diesem Zusammenhang wird die gesetzlich vorgesehene Evaluierung einiger nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz verschärften Regelungen sein. Diese, erstmalig in einem Gesetz festgeschriebene Überprüfungsverpflichtung, stellt einen beachtlichen Fortschritt im Gesetzgebungsverfahren dar. Allerdings wurde, soweit bekannt, mit einer Evaluierung noch nicht begonnen, obwohl die Zeit schon fortgeschritten ist.
In ihrer Entschließung zu „Forderungen der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder an Bundesgesetzgeber und Bundesregierung” (Anlage 1) haben die Datenschutzbeauftragten die Notwendigkeit unabhängiger Evaluierung der neuen Befugnisse der Sicherheitsbehörden und anderer vergleichbar intensiver Eingriffsmaßnahmen bereits deutlich gemacht.
Die demokratische Kultur kann auch beeinträchtigt werden, wenn die Allgemeinheit von repressiven Überwachungsmaßnahmen, z.B. in der Telekommunikation, nicht transparent unterrichtet wird.
Ein Ansatz für solche Offenheit im Umgang mit freiheitsbeeinträchtigenden Maßnahmen ist die Veröffentlichung von Statistiken, konkret z.B. von Jahresstatistiken, welche die Betreiber von Telekommunikationsanlagen nach geltendem Recht (§ 110 Abs. 8 Telekommunikationsgesetz) zu erstellen haben. Da die Bundesregierung 2003 eine Abschaffung dieser Statistiken geplant zu haben schien, forderten die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder mit einer Entschließung (Anlage 7), diese Grunddatenerfassung keinesfalls abzuschaffen. Die Statistiken sollten darüber hinaus nicht nur beibehalten, sondern außerdem auf die Zahl der Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten erstreckt werden.
Diese Verbesserung des Informationsgehaltes erfolgte zwar nicht, jedoch wurde immerhin auf die Streichung der Statistiken verzichtet (vgl. Ziff. 23.1.2).
Zusammenfassend hält es der Landesbeauftragte für erforderlich, dass zuvörderst mit der Evaluierung der mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 in Kraft getretenen Neuregelungen begonnen wird, damit es nicht zum 12. Januar 2007 zu einer ungeprüften Verlängerung der Regelungen kommt.
Er bittet die Landesregierung, ihren Einfluss diesbezüglich geltend zu machen.