VII. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.2003 - 31.03.2005
20.6 Datenerhebung bei Dritten anlässlich eines Gerichtsverfahrens
Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens auf Übernahme von Miet- und Fernwärmekosten nach § 15a Abs. 1 BSHG hatte ein Sozialamt direkt bei der lokalen Versorgungs-GmbH Einzeldaten zum Zustandekommen der Fernwärmeschulden erhoben. Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hatte sich deshalb an den Landesbeauftragten gewandt.
Das Sozialamt teilte mit, dass der Verdacht bestand, der Antragsteller hätte die Schulden missbräuchlich entstehen lassen. Der Antragsteller habe kein Telefon gehabt. Gegenüber dem Gericht hätte man aber, wegen des Eilverfahrens kurzfristig, vortragen müssen. Daher hätten die Daten direkt bei der Versorgungs-GmbH erhoben werden müssen. Dies sei im Rahmen von § 67a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 a) SGB X auch zulässig, da eine Rechtsvorschrift, nämlich § 9 DSG-LSA, eine Erhebung bei Dritten gestatte. Der Verdacht habe sich dann auch bestätigt.
Demgegenüber musste der Landesbeauftragte auf folgendes hinweisen:
Die §§ 9, 10 DSG-LSA stellen keine Rechtsvorschriften zur Datenerhebung bei anderen Personen im Sinne des § 67a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2a) SGB X dar. Die spezialgesetzlichen Bundesregelungen zur Wahrung des Sozialgeheimnisses nach §§ 35 Abs. 1 SGB I, 67 Abs. 1 SGB X gehen den allgemeinen Regelungen des DSG-LSA vor (vgl. § 3 Abs. 3 Satz 1 DSG-LSA, §§ 37 Satz 1, 28 SGB I).
Zwar ist es nach § 67a Abs. 2 Nr. 2 b) aa) SGB X grundsätzlich möglich, Sozialdaten auch bei anderen Personen oder Stellen als dem Betroffenen zu erheben, wenn die Aufgabenerfüllung ihrer Art nach eine entsprechende Erhebung erforderlich macht. Dies kann u.a. dann der Fall sein, wenn die Angaben des Betroffenen zu überprüfen sind. Die Datenerhebung ohne Mitwirkung des Betroffenen nach § 67a Abs. 2 Satz 2 ist jedoch eine Ausnahme zum Grundsatz der Erhebung von Sozialdaten beim Betroffenen nach § 67a Abs. 2 Satz 1 SGB X und daher eng auszulegen. Zudem steht sie unter dem Vorbehalt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch die Fremdbefragung überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt werden können. Ein solcher Schutzfall bestand hier.
Die vom Sozialamt angenommene, durch Eile gebotene Erforderlichkeit der Nachfrage bei der Versorgungs-GmbH als Drittem bestand nicht. Zu klären war die Frage, ob es sich bei dem rückständigen Rechnungsbetrag der Fernwärmeversorgung um eine unerwartet hohe Nachforderung handelte, oder ob der Antragsteller langfristig und missbräuchlich Rechnungen hat auflaufen lassen.
Inhaltlich hätten sich die erforderlichen Informationen aus den beim Betroffenen vorhandenen Unterlagen ergeben. Der Antragsteller wäre nach § 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I auch zur Vorlage der entsprechenden Unterlagen (Zahlungsaufforderungen, Zahlungsdokumente) verpflichtet gewesen.
Unerheblich war, dass der Antragsteller kein Telefon hatte. Der Antragsteller war durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten. Die Vollmacht ermächtigt grundsätzlich zu allen das Verfahren betreffenden Verfahrenshandlungen (§ 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Abforderung von Unterlagen hätte hier daher beim Verfahrensbevollmächtigten erfolgen müssen, der gegenüber dem Landesbeauftragten erklärt hatte, dass entsprechende Unterlagen bei ihm vorgelegen haben.
Weiterhin standen der Datenerhebung auch schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegen. Dem Vorgang lässt sich entnehmen, dass es sich nicht um den Fall eines dauerhaften Leistungsbezuges, sondern lediglich um die Übernahme von Schulden im Einzelfall handelte. Demgemäß bestand hier durchaus das schützenswerte Interesse des Betroffenen, den Kontakt zum Sozialleistungsträger als Sozialdatum nicht unbedingt anderen Stellen zur Kenntnis gelangen zu lassen. Auch konnte der Hinweis das Sozialamt nicht entlasten, dass Leistungen häufig direkt an den Versorger gezahlt werden. Auch bei der Bewilligung der Übernahme ist nicht notwendigerweise die direkte Zahlung erforderlich. Vielmehr hätte auch an den Antragsteller gezahlt werden können. § 15a Abs. 1 Satz 3 BSHG sieht lediglich vor, dass Hilfe an den Vermieter gezahlt werden "soll", wenn die zweckentsprechende Verwendung durch den Hilfesuchenden nicht sichergestellt ist. Anhaltspunkte hierfür lagen nicht vor.