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VII. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.2003 - 31.03.2005

8.1.2 Kontodatenabruf

Eine weitere einschneidende Änderung in der AO erfolgte durch das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit vom 23. Dezember 2003 (BGBl. I, S. 2928). Die Änderung ermächtigt die Finanzbehörden ab 1. April 2005 über das Bundesamt für Finanzen zum Abruf einzelner Kontodaten bei den Kreditinstituten. Konkret ist der Abruf nach § 93 Abs. 7 AO durch die Finanzbehörden - in Sachsen-Anhalt die Finanzämter, die Oberfinanzdirektion und das Ministerium der Finanzen - bei den Kreditinstituten über das Bundesamt für Finanzen zulässig, wenn er zur Festsetzung oder Erhebung von Steuern erforderlich ist und ein Auskunftsersuchen an den Steuerpflichtigen nicht zum Ziele geführt hat oder keinen Erfolg verspricht. Neben den Finanzbehörden sind über den § 93 Abs. 8 AO jedoch noch eine Vielzahl anderer Behörden und Gerichte zum Einholen von Kontoinformationen berechtigt. Nach dieser Vorschrift sollen die Finanzbehörden auf Ersuchen von Behörden und Gerichten, die für die Anwendung von Gesetzen zuständig sind, in denen an Begriffe des Einkommensteuergesetzes angeknüpft wird, über das Bundesamt für Finanzen einzelne Daten abrufen und der ersuchenden Behörde bzw. dem ersuchenden Gericht mitteilen. In dem Ersuchen ist zu versichern, dass eigene Ermittlungen nicht zum Ziele geführt haben oder keinen Erfolg versprechen.

Nach § 93b Abs. 1 AO haben die Kreditinstitute die nach § 24c Abs. 1 des Kreditwesengesetzes zu führende Datei auch für die Abrufe nach § 93 Abs. 7 und 8 AO vorzuhalten. In dieser Datei, die an sich zunächst nur der Bekämpfung der Geldwäsche im Rahmen der Terrorismusabwehr diente, werden die sogenannten Kontostammdaten der Bankkunden und sonstigen Verfügungsberechtigten, wie z.B. Name, Geburtsdatum, Kontonummern und Depots, vorgehalten. Kontenstände und -bewegungen werden in dieser Datei nicht gespeichert und können demnach auf diese Weise durch die Finanzbehörden nicht abgerufen werden. Wenn also ein Finanzamt eine Abfrage zu einem Bürger veranlasst hat, wird es danach wissen, wie viele Konten und Depots der Betroffene hat, unter welchen Kontonummern und seit wann diese geführt werden. Mit diesen Informationen wird das Finanzamt dann an die Bürgerin oder den Bürger herantreten, die/der von der heimlichen Abfrage bislang nichts weiß.

Praktisch sind Abrufe von Kontoinformationen bei den Kreditinstituten nur durch das Bundesamt für Finanzen vorzunehmen. Das Bundesamt wird wiederum nur auf Anforderung durch die Finanzbehörden tätig. Die Finanzbehörden können Abrufe zu eigenen Zwecken - Steuerfestsetzung -und auf Ersuchen anderer Behörden und Gerichte vornehmen lassen. Das Finanzamt kann sich z.B. im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer eines Bürgers an das Bundesamt für Finanzen wenden und alle Kontostammdaten zu diesem Bürger erfragen. Das Sozialamt oder auch ein Sozialgericht kann sich zur Feststellung von Kontoinformationen nicht direkt an das Bundesamt für Finanzen wenden. Diese Behörden bzw. Gerichte wenden sich an die Finanzbehörden. Die Abfrage beim Bundesamt für Finanzen erfolgt dann durch die Finanzbehörden. Die so abgerufenen Kontoinformationen werden den Behörden und Gerichten über die Finanzbehörden mitgeteilt. Die Finanzbehörden erlangen somit auch Kenntnis von Kontoinformationen von Bürgerinnen und Bürgern, zu denen sie selbst keine Abfragen veranlasst haben.

Wegen der Regelungen zum Kontodatenabruf als Teil der „Förderung der Steuerehrlichkeit” hatten ein Kreditinstitut und drei Einzelpersonen beim Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Inkrafttreten des Gesetzes beantragt. Am 22. März 2005 hat das Bundesverfassungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt (Az. 1 BvR 2357/04, 1 BvQ 2/05; NJW 2005, 1179). Damit können die Regelungen der AO ab dem 1. April 2005 zunächst umgesetzt werden. Zunächst deshalb, weil eine abschließende Entscheidung über die offene Verfassungsbeschwerde noch aussteht. Das Gericht hat eine Abwägung zwischen dem Interesse an der Gleichmäßigkeit der Erhebung von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen sowie der Verhinderung des unberechtigten Bezugs von Sozialleistungen und dem Interesse der Betroffenen, die Gewinnung von personenbezogenen Informationen ohne eigene Mitwirkung zu vermeiden, vorgenommen. Der Nachteil für den Betroffenen aus dem Abrufverfahren bestehe nicht darin, dass den Finanzbehörden auf diese Weise einzelne der für die Besteuerung maßgebenden tatsächlichen Umstände bekannt werden könnten und die Steuer dementsprechend nach den gesetzlichen Vorgaben festgesetzt werden könne. Der Nachteil liege in der Kenntnis personenbezogener Daten über das Bestehen von Konten und Depots, die zur weiteren Ermittlung von steuererheblichen Tatsachen genutzt werden können. Der Steuerpflichtige sei zwar ohnehin zur Offenlegung der steuererheblichen Tatsachen verpflichtet, grundsätzlich aber nicht zur Angabe von Konten. Daran ändere die Neuregelung nichts, erlaube aber die Erkenntniserlangung ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen, was sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung berühre. Bei der Abwägung hat das Gericht maßgeblich berücksichtigt, dass durch einen Anwendungserlass des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. März 2005 Schutzvorkehrungen konkretisiert und damit die möglichen Belastungen der Betroffenen durch die neuen Ermittlungsbefugnisse abgeschwächt wurden. Nur dadurch war die Praxis des Kontodatenabrufs einstweilen „gerettet”.