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III. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1995 - 31.03.1997

21.4 Einführung des sog. „Großen Lauschangriffs”

Im Vorfeld der Beratungen zu einem StVÄG 1996 wurde innerhalb der Bundesregierung auch eine Verfassungsänderung diskutiert, die eine akustische Überwachung von Wohn- und Geschäftsräumen zum Zweck der Beweismittelgewinnung im Strafverfahren (sog. „Großer Lauschangriff”) vorsieht. Eine solche Änderung des Artikels 13 Grundgesetz (GG) und die dazugehörige gesetzliche Regelung in der Strafprozeßordnung (StPO) würden einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht jedes einzelnen Bürgers darstellen. Von daher haben die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder bereits im Jahre 1993 (vgl. II. Tätigkeitsbericht, S. 110) mehrheitlich den „Großen Lauschangriff” aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt.

Das Grundgesetz gewährleistet aus den geschichtlichen Erfahrungen Deutschlands heraus jedem Bürger einen unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung, in dem die öffentliche Gewalt nichts zu suchen hat. Dem einzelnen muß, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes ein privates Refugium, ein persönlicher Bereich garantiert werden, der staatlicher Ausforschung - insbesondere heimlicher - entzogen ist. Das gilt insbesondere gegenüber Maßnahmen der Strafverfolgung, weil davon auch unverdächtige und unschuldige Bürgerinnen und Bürger betroffen sein können. Dieses Refugium vor heimlicher staatlicher Ausforschung zum Zwecke der Strafverfolgung war bisher die von Artikel 13 GG geschützte Wohnung.
Mit der Einführung des „Großen Lauschangriffs”, wie er offenbar von der Bundesregierung nunmehr geplant wird, würde dieser letzte unantastbare Bereich privater Lebensgestaltung zum Zwecke der Strafverfolgung geöffnet bzw. hier in Ostdeutschland fast sieben Jahre nach der Wende wiedereröffnet. Dabei täuscht die Verpackung im „biederen” rechtsstaatlichen Gewande über die damit verbundenen gravierenden menschlichen und rechtlichen Probleme der Maßnahmen hinweg.

Es geht nicht darum, besondere Formen der Schwerstkriminalität der gewünschten und auch vom Bundesverfassungsgericht stets bestätigten, effektiven Strafverfolgung zu entziehen, sondern um die rechts- und gesellschaftspolitisch richtige Entscheidung, ob man für Ermittlungsansätze - nicht einmal Ergebnisse sind garantiert - in einigen wenigen Fällen, die massive Beeinträchtigung, ja Auflösung der Intimsphäre einer Vielzahl unbeteiligter und unschuldiger Bürger in Kauf nehmen will. Dabei bestehen die Schwierigkeiten nach Ansicht des Landesbeauftragten nicht im rechtlichen, sondern im praktischen Anwendungsbereich. Täter und Tatbeteiligte sind im Ermittlungsverfahren von unschuldigen Bürgern anfangs kaum zu unterscheiden. Der gesuchte Täterkreis verwendet ein hohes Maß an Energie und Phantasie auf die Verschleierung von Personen und Tatabläufen mit der Folge, daß schon heute, mit den vorhandenen Eingriffsmitteln (z.B. Brief- und Telefonkontrolle, polizeiliche Beobachtung), im Normalfall Ermittlungsansätze der Strafverfolger in diesem Milieu immer eine Vielzahl unbeteiligter Personen mit Eingriffsmaßnahmen erfassen und in ihren Rechten beeinträchtigen. Dies ist den unschuldig Betroffenen in einem Rechtsstaat nicht plausibel zu machen und kann mit den vom Staat zu leistenden Geldentschädigungen allenfalls dürftig kompensiert werden. Um so mehr muß eine freie, auf die individuelle Persönlichkeit und Würde ihrer Bürger gegründete Gesellschaft sich fragen, ob sie sich mit den neu geplanten Eingriffsmaßnahmen in den Offenbarungseid einer (praktisch) unbegrenzten Öffnung der Intimsphäre aller Bürgerinnen und Bürger treiben lassen will. Deshalb sollten insbesondere alle diejenigen, die in Staat und Gesellschaft Verantwortung tragen, ihre Bewertung noch einmal kritisch prüfen, ob sie die Bundesrepublik Deutschland schon derart kriminell unterwandert sehen, daß deren staatliche Institutionen und die Freiheit ihrer Bürger im Kern gefährdet sind.

Für den Fall, daß man sich auf Bundesebene dennoch für das Abhören von Wohnungen entscheiden will, erfordert der Schutz der Privatsphäre mindestens eine klare Begrenzung und verfahrensmäßige Sicherung der Maßnahmen. Diese müssen vom Grundsatz her im Grundgesetz selbst und nicht in der StPO festgelegt werden. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder haben daher einvernehmlich Maßnahmen zur Sicherung der Privatsphäre für den Fall der Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung erarbeitet (Anlage 10), die den vorgenannten Grundsätzen Rechnung tragen sollen.