IV. Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sachsen-Anhalt vom 01.04.1997 - 31.03.1999
21.3 Einführung des sog. "Großen Lauschangriffs"
Mit dem Gesetz zur Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes vom 26.03.1998 hat der Gesetzgeber nach heftiger rechtspolitischer Debatte die verfassungsrechtliche Grundlage zur Einführung des sog. "Großen Lauschangriffs" geschaffen. Anschließend erfolgte im Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 04.05.1998 die inhaltliche Ausgestaltung des Abhörens von Wohnraum im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.
Bedauerlicherweise fanden dabei die bereits im III. Tätigkeitsbericht (S. 96 f) angesprochenen Forderungen der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 22./23.10.1996 (Anlage 10 zum III. Tätigkeitsbericht) zum Schutz vor allem unbeteiligter Dritter keine angemessene Berücksichtigung.
So wurde weder die Wohnraumüberwachung auf die Verfolgung schwerster Straftaten beschränkt, noch wurde die Forderung, nur ein Kollegialgericht über eine solche Überwachung entscheiden zu lassen, konsequent erfüllt; bei Gefahr im Verzuge kann jetzt auch ein einzelner Richter des Kollegialgerichts entscheiden.
Bandendiebstahl, gewerbsmäßige und Bandenhehlerei, aber auch leichte Vergehen nach dem Betäubungsmittelgesetz gehören nach Auffassung des Landesbeauftragten nicht zu den besonders schweren Straftaten, die einen derart schwerwiegenden Eingriff in Grundrechte rechtfertigen. Die Aufnahme des Geldwäschetatbestandes in den Katalog der zur Wohnraumabhörung berechtigenden Delikte und die Bezugnahme auf § 261 Abs. 1 bis 4 StGB führen groteskerweise dazu, daß beim Verdacht einer versuchten Geldwäsche eine Wohnraumüberwachung zulässig ist, obwohl gleichzeitig das mildere Mittel der Telefonüberwachung (noch) nicht erlaubt ist. Deutlicher kann die unausgewogene Arbeit des Bundesgesetzgebers nicht werden.
Das von den Datenschutzbeauftragten geforderte Kriterium der Aussichtslosigkeit anderweitiger Ermittlungen hat zwar Eingang in das Gesetz gefunden, ist aber für die Praxis kein Hinderungsgrund, da als "aufweichende Alternative" eine "wesentliche Erschwernis der Ermittlungen" für die Wohnraumüberwachung ausreichend sein kann. Diese kann stets leicht belegt werden.
Ein weiteres Problem in der Diskussion war die Zulässigkeit des Abhörens bei Berufsgeheimnisträgern und Angehörigen eines Verdächtigen. Immerhin ist nun nach § 100d Abs. 3 Satz 1 StPO die Überwachung von Wohnraum von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 Abs. 1 StPO) unzulässig. Leider ist dieser Schutz nicht auf Abhörmaßnahmen im Zusammenhang mit persönlichen Vertrauten ausgedehnt worden. Dabei gewonnene Erkenntnisse dürfen verwertet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrundeliegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhaltes oder der Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters steht. In der Praxis wird dieses Abwägungskriterium kaum eine Schutzbedeutung gewinnen.
Auch eine weitere Forderung der Datenschutzbeauftragten in ihrer Entschließung zur akustischen Wohnraumüberwachung ist im Gesetzgebungsverfahren nicht berücksichtigt worden. Eine anderweitige Verwendung der erhobenen Daten (Zweckänderung), die die Datenschutzbeauftragten weder zu Beweiszwecken noch als Ermittlungsansatz für andere als Katalogtaten als zulässig ansahen, ist nunmehr durch § 100f StPO möglich.
Abschließend ist anzumerken, daß mit der gesetzlichen Einführung der akustischen Wohnraumüberwachung der Gesetzgeber eine tiefgreifende Bresche in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung geschlagen hat, deren Nutzen und Praktikabilität für die Strafverfolgungsorgane auch nach Meinung vieler Praktiker bei Polizei und Staatsanwaltschaft fraglich ist.
Es wäre wünschenswert gewesen, daß der Gesetzgeber zunächst die erforderliche Rechtstatsachensammlung eingeleitet und ihre Ergebnisse abgewartet hätte. Zumindest hätte aber damit der so beschworene "durchschlagende Erfolg" dieses (vor-)letzten Mittels zum "Einbruch" in die Intimsphäre der Bürger nach einer bestimmten Zeit kritisch überprüft werden müssen. Nun kann nur noch das anhängige Überprüfungsverfahren beim Bundesverfassungsgericht dieses Übermaß an "Schnüffelei" in der Intimsphäre wieder beseitigen.