Entschließung der 43a. Sonderkonferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 28. April 1992 in Baden-Württemberg
(gegen die Stimme Bayerns)
Neuregelung des Asylverfahrens (BT-Drs. 12/2062) vom 28. April 1992
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hält Änderungen des Gesetzentwurfs zur Neuregelung des Asylverfahrens für erforderlich, insbesondere der geplanten Regelungen
über die erkennungsdienstliche Behandlung von Asylbewerbern zur Sicherung der Identität (§ 16 Abs. 1) und
über die Nutzung der dabei gewonnenen erkennungsdienstlichen Unterlagen zur Strafverfolgung und zur Gefahrenabwehr (§ 16 Abs. 5).
Zu 1.:
Nach dem geltenden Recht sind Lichtbilder und Fingerabdrucke bei Asylbewerbern nur dann zu fertigen, wenn deren Identität nicht eindeutig bekannt ist. Demgegenüber sieht der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Asylverfahrens vor, daß von sämtlichen Asylbewerbern - bis auf wenige Ausnahmen - Lichtbilder und Fingerabdrucke zu fertigen sind. Dies ist mit dem Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar:
Der Staat hat selbstverständlich das Recht zu wissen, mit wem er es zu tun hat. Jeder - gleichgültig ob Deutscher oder Ausländer - muß sich deshalb durch Dokumente ausweisen können; nur wenn Zweifel an der Identität bestehen, kommen erkennungsdienstliche Maßnahmen in Betracht. Dieser Grundsatz unserer Rechtsordnung muß auch im Rahmen der Neuregelung des Asylverfahrens beachtet werden. Nur wenn feststeht, daß die Identität eines hohen Anteils der Asylbewerber - also nicht bloß diejenige einzelner oder bestimmter Gruppen - zweifelhaft ist, wäre eine erkennungsdienstliche Behandlung aller Asylbewerber gerechtfertigt. Gerade dies aber ist bisher nicht hinreichend belegt: In der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs ist allein davon die Rede, daß nach Feststellung niederländischer Behörden 20 % der Asylbewerber unter falschem Namen einen weiteren Asylantrag stellen. Aussagekräftige Angaben, in welchem Umfang in der Bundesrepublik Deutschland Asylbewerber unter Täuschung über ihre Identität gleich bei der ersten Antragstellung oder nach dessen Ablehnung erneut versuchen, Asyl zu erhalten, fehlen bislang.
Zu 2.:
Bei der zentralen Auswertung der Fingerabdrucke von Asylbewerbern durch das Bundeskriminalamt muß - ungeachtet dessen, ob das Bundeskriminalamt dabei in eigener Zuständigkeit oder für das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge tätig wird - unbedingt folgendes sichergestellt sein:
- Fingerabdrucke von Asylbewerbern, die unter Beachtung des zu Nr. 1 Gesagten gefertigt wurden, dürfen nur gespeichert werden, soweit dies zur Sicherung der Identität unbedingt erforderlich ist. Dazu reicht die bisher vom Bundeskriminalamt angewandte Methode der sogenannten Kurzsatzverformelung der Fingerabdrucke aus. Gerade aber dabei soll es nicht bleiben:
Mit der bevorstehenden Einführung von AFIS - einem neuen automatisierten Fingerabdruckverfahren - sollen künftig auch die Fingerabdrucke von Asylbewerbern, die allein zur Feststellung deren Identität gefertigt wurden, genauso erfaßt und ausgewertet werden wie die Fingerabdrucke mutmaßlicher oder tatsächlicher Straftäter. Asylbewerber würden damit von vornherein wie Straftäter behandelt. Eine solche Verfahrensweise wird dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, insbesondere dem Übermaßverbot nicht gerecht. Zudem unterläuft sie die in § 16 Abs. 4 des Gesetzentwurfs vorgesehene Trennung der erkennungsdienstlichen Unterlagen von Asylbewerbern und Straftätern. Um die gebotene Differenzierung sicherzustellen, sollte - über das Trennungsgebot des § 16 Abs. 4 hinaus - die Verformelung auf den Abdruck eines Fingers des Asylbewerbers beschränkt werden, da dies zur eindeutigen Feststellung seiner Identität genügt.
- Die Datenschutzbeauftragten verkennen nicht, daß es unter Umständen im überwiegenden Allgemeininteresse notwendig sein kann, im Rahmen asylrechtlicher Identitätsfeststellung gefertigte Fingerabdrucke für Zwecke der Strafverfolgung zu nutzen. Weil eine solche Verwendung einen neuen und zudem erheblichen Eingriff in das Grundrecht auf Datenschutz darstellt, darf sie nicht - wie es der Gesetzentwurf aber vorsieht - praktisch voraussetzungslos erfolgen. Notwendig ist vielmehr, die Voraussetzungen in einem abschließenden Straftatenkatalog aufzuführen; darin könnten auch die in der amtlichen Begründung des Gesetzentwurfs erwähnten Fälle des Sozialhilfebetrugs enthalten sein
- Ein entsprechender Maßstab ist an die Regelung anzulegen, wann zur Identitätssicherung gefertigte Fingerabdrucke von Asylbewerbern zur polizeilichen Gefahrenabwehr genutzt werden dürfen. Eine solche Nutzung sollte nur zugelassen werden, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich ist.