Entschließung der 46. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 26./27. Oktober 1993 in Berlin
Kartengestützte Zahlungssysteme im Öffentlichen Nahverkehr
Mit der Weiterentwicklung von Chipkarten werden kartengestützte Zahlungssysteme zunehmend auch im Verkehrsbereich eingesetzt. Damit besteht die Gefahr, daß sehr detaillierte Bewegungsprofile entstehen, die den persönlichen Bereich jedes Einzelnen einschränken und z.B. auch für Strafverfolgungsbehörden, Finanzämter und für die Werbewirtschaft von Interesse sein könnten. Da sämtliche Fahrten für einen gewissen Zeitraum aufgelistet werden können, hat jeder Kontoinhaber die Möglichkeit, Fahrten sämtlicher Familienmitglieder jederzeit nachzuvollziehen.
So sind im Öffentlichen Nahverkehr zahlreiche sogenannte Postpaid-Verfahren in Erprobung, bei denen dem Fahrgast am Monatsende die aufsummierten Fahrpreise vom Konto abgebucht werden. Diese Zahlungsweise erfordert die Speicherung umfangreicher personenbezogener Daten: Neben der Konto-Nr. und Bankleitzahl des Fahrgastes werden sowohl Datum und Uhrzeit des Fahrscheinkaufs bzw. des Fahrantritts als auch Automatennummer und Preisstufe der jeweiligen Fahrt erhoben.
Eine solche Vorgehensweise ist umso problematischer, als technische Alternativen existieren, die weitaus datenschutzfreundlicher sind. Im Öffentlichen Nahverkehr können - wie skandinavische und auch deutsche Projekte aufzeigen - Wertkartensysteme eingesetzt werden, bei denen im voraus bezahlt wird und die daher gänzlich ohne personenbezogene Daten auskommen.
Die Datenschutzbeauftragten halten es daher für dringend erforderlich, daß mehr als bisher bei der Einführung kartengestützter Zahlungssysteme darauf geachtet wird, die "datenfreie Fahrt" zu ermöglichen. Im öffentlichen Nahverkehr sollte weiterhin auch die datenschutzfreundlichste Lösung angeboten werden: Der Kauf einer Fahrkarte am Automaten mit Bargeld.
Die Konferenz fordert weiter, daß noch vor der Pilotierung der dargestellten Technikvorhaben im Verkehrsbereich eine Untersuchung möglicher Alternativen, eine Analyse der von ihnen ausgehenden Gefahren für das informationelle Selbstbestimmungsrecht und eine Darstellung der technischen und organisatorischen Möglichkeiten zur Gewährleistung des Persönlichkeitsschutzes zu erstellen ist (Technikfolgen-Abschätzung). Nur Verfahren mit dem geringsten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht sollten eine Chance zur Erprobung erhalten.