Entschließung der 47. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 9./10. März 1994 in Brandenburg
Chipkarten im Gesundheitswesen
Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Länder verfolgen die zunehmende Verwendung von Chipkarten im Gesundheits- und Sozialwesen mit kritischer Aufmerksamkeit.
Chipkarte als gesetzliche Krankenversicherungskarte
Die Krankenversicherungskarte, die bis Ende des Jahres in allen Bundesländern eingeführt sein wird, darf nach dem Sozialgesetzbuch nur wenige Identifikationsdaten enthalten. Die Datenschutzbeauftragten überprüfen, ob
die Krankenkassen nur die gesetzlich zulässigen Daten auf den Chipkarten speichern und
die Kassenärztlichen Vereinigungen dafür sorgen, daß nur vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifizierte Lesegeräte und vom Bundesverband der Kassenärztlichen Vereinigungen geprüfte Programme eingesetzt werden.
Chipkarte als freiwillige Gesundheitskarte
Sogenannte "Gesundheitskarten", etwa "Service-Karten" von Krankenversicherungen und privaten Anbietern, "Notfall-Karten", "Apo(theken)-Cards" und "Röntgen-Karten" werden neben der Krankenversicherungskarte als freiwillige Patienten-Chipkarte angeboten und empfohlen. Während die Krankenversicherungskarte nach dem Sozialgesetzbuch nur wenige Identifikationsdaten enthalten darf, kann mit diesen "Gesundheitskarten" über viele medizinische und andere persönliche Daten schnell und umfassend verfügt werden.
Gegenüber der konventionellen Ausweiskarte oder einer Karte mit einem Magnetstreifen ist die Chipkarten-Technik ungleich komplexer und vielfältig nutzbar. Damit steigen auch die Mißbrauchsgefahren bei Verlust, Diebstahl oder unbemerktem Ablesen der Daten durch Dritte. Anders als bei Ausweiskarten mit Klartext können Chipkarten nur mit technischen Hilfsmitteln gelesen werden, die der Betroffene in der Regel nicht besitzt. So kann er kaum kontrollieren, sondern muß weitgehend darauf vertrauen, daß der Aussteller der Karte und sein Arzt nur die mit ihm vereinbarten Daten im Chip speichern, das Lesegerät auch wirklich alle gespeicherten Daten anzeigt und der Chip keine oder nur eindeutig vereinbarte Verarbeitungsprogramme enthält.
Die Freiwilligkeit der Entscheidung für oder gegen die Gesundheitskarte mit Chipkarten-Technik ist in der Praxis bisweilen nicht gewährleistet. So wird ein faktischer Zwang auf die Entscheidungsfreiheit des Betroffenen ausgeübt, wenn der Aussteller - etwa ein Krankenversicherungsunternehmen oder eine Krankenkasse - mit der Einführung der Chipkarte das bisherige konventionelle Verfahren erheblich ändert, z. B. den Schriftwechsel erschwert oder den Zugang zu Leistungen Karten-Inhabern vorbehält bzw. erleichtert.
So stellt beispielsweise eine Kasse ihren Mitgliedern Bonuspunkte in Aussicht, wenn sie auf sog. Aktionstagen der Kasse Werte wie Blutzucker, Sauerstoffdynamik, Cholesterol sowie weitere spezielle medizinische Daten ohne ärztliche Konsultation messen und auf der Karte speichern und aktualisieren lassen. In Abhängigkeit von der Veränderung dieser Werte wird von der Kasse gegebenenfalls ein Arztbesuch empfohlen. Die Vergabe solcher Bonuspunkte widerspricht dem Prinzip der Freiwilligkeit bei der Erhebung der Daten für die Patienten-Chipkarte. Der Effekt wird noch verstärkt, indem die Kasse die "Möglichkeit einer Beitragsrückerstattung" in Aussicht stellt. Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sehen in dieser Art der Anwendung der Chipkarten-Technik das Risiko eines Mißbrauchs, solange der Inhalt und die Nutzung der Daten nicht mit den zuständigen Fachleuten - wie den Medizinern - und den Krankenkassen abgestimmt ist.
Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hält für den Einsatz und die Nutzung freiwilliger Patienten-Chipkarten zumindest - vorbehaltlich weiterer Punkte - die Gewährleistung folgender Voraussetzungen für erforderlich:
Die Zuteilung einer Gesundheitskarte und die damit verbundene Speicherung von Gesundheitsdaten bedarf der schriftlichen Einwilligung des Betroffenen. Er ist vor der Erteilung der Einwilligung umfassend über Zweck, Inhalt und Verwendung der angebotenen Gesundheitskarte zu informieren.
Die freiwillige Gesundheitskarte darf nicht - etwa durch Integration auf einem Chip - die Krankenversichertenkarte nach dem Sozialgesetzbuch verdrängen oder ersetzen.
Die Karte ist technisch so zu gestalten, daß für die einzelnen Nutzungsarten nur die jeweils erforderlichen Daten zur Verfügung gestellt werden.
Der Betroffene muß von Fall zu Fall frei und ohne Benachteiligung - z. B. gegenüber dem Arzt, der Krankenkasse oder der Versicherung - entscheiden können, die Gesundheitskarte zum Lesen der Gesundheitsdaten vorzulegen und ggf. den Zugriff auf bestimmte Daten zu beschränken. Er muß ferner frei entscheiden können, wer welche Daten in seinen Datenbestand übernehmen darf. Der Umfang der Daten, die gelesen oder übernommen werden dürfen, ist außerdem durch die gesetzliche Aufgabenstellung bzw. den Vertragszweck der Nutzer beschränkt.
Der Kartenaussteller muß sicherstellen, daß der Betroffene jederzeit vom Inhalt der Gesundheitskarte unentgeltlich Kenntnis nehmen kann.
Der Betroffene muß jederzeit Änderungen und Löschungen der gespeicherten Daten veranlassen können.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sprechen sich dafür aus, daß der Gesetzgeber dies durch bereichsspezifische Rechtsgrundlagen sicherstellt.