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Entschließung der 50. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 9./10. November 1995 in Bremen

Datenschutz bei der Neuordnung der Telekommunikation (Postreform III)

Mit der Postreform III soll die Neugestaltung des Telekommunikationssektors in Deutschland nach den Vorgaben des Liberalisierungskonzepts der Europäischen Union abgeschlossen werden. Entstehen wird ein riesiger Markt mit einer Vielzahl von großen und kleinen, teilweise auch grenzüberschreitend tätigen Netzbetreibern und Diensteanbietern. Die Akteure auf diesem Telekommunikationsmarkt werden zum größeren Teil als Privatunternehmen operieren, es werden aber auch öffentliche Stellen ihre Leistungen anbieten. Der gesetzgeberische Abschluß der Liberalisierung und der Privatisierung des TK-Sektors wird die rechtliche Grundlage bilden für den endgültigen Eintritt in das Zeitalter von weltweiter Vernetzung, Multimedia und interaktiven Diensten und damit für den rapiden Anstieg des Konsums von Angeboten der Telekommunikation, des interaktiven Rundfunks und der Datenverarbeitung.

Die Konsequenzen sind absehbar: Gegenüber der heutigen Situation werden unvergleichlich mehr personenbezogene Daten durch mehr Stellen registriert und ausgewertet werden. Betroffen sind alle, die fernsehen, telefonieren, fernkopieren, Texte und Dokumente über Datenleitung schicken oder Telebanking oder Teleshopping betreiben. Die Risiken für den einzelnen durch die vermehrten Möglichkeiten der Verhaltens- und Umfeldkontrolle oder der Ausforschung persönlicher Lebensgewohnheiten und Eigenschaften vergrößern sich entsprechend.

Der vom Bundesministerium für Post und Telekommunikation vorgelegte Referentenentwurf für ein Telekommunikationsgesetz (TKG-E, Stand: 06.10.95) macht es erforderlich, erneut die Realisierung der grundlegenden Rahmenbedingungen für eine datenschutzgerechte Gestaltung der künftigen Telekommunikationslandschaft - soweit die Gesetzgebungskompetenz des Bundes betroffen ist - anzumahnen.

Ein wirksamer Datenschutz muß - wie bereits jetzt gesetzlich fixiert - auch künftig gleichberechtigtes Regulierungsziel neben z. B. der Sicherstellung der flächendeckenden Grundversorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen bleiben.

Kundenwünsche nach variablerer und komfortablerer Nutzung der technischen Möglichkeiten werden zunehmen. Gerade deshalb müssen die Prinzipien der Datenvermeidung und der strikten Begrenzung der Datenverarbeitung auf das erforderliche Ausmaß ihren Vorrang bei der Ausgestaltung der kommunikationstechnischen Infrastruktur behalten. Netzbetreiber und Diensteanbieter sollten verpflichtet werden, überall dort, wo dies technisch möglich ist, auch anonyme Zugangs- und Nutzungsformen für ihre Leistungen bereitzustellen. Für eine sichere Datenübertragung sind ohne prohibitive Zusatzkosten wirksame Verschlüsselungsverfahren bereitzustellen.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Fernmeldegeheimnis müssen für alle Netzbetreiber und Diensteanbieter ungeachtet ihrer Rechtsform und ihrer Kundenstruktur (z. B. sog. Corporate Networks) einheitlich auf einem hohen Niveau gesichert werden. Der bisherige Schutzstandard darf keinesfalls unter den durch die Postreform II erreichten Stand gesenkt werden. Ein hohes Datenschutzniveau ist als Grundversorgung unabdingbar; seine Gewährleistung sollte deshalb Teil der Universaldienstleistung sein. Die in Grundrechte eingreifenden Regelungen sind im Telekommunikationsgesetz selbst und nicht in Verordnungen zu treffen. Die untergesetzlichen, den Datenschutz betreffenden Normen gehören in eine einzige, nicht verstreut in mehrere Verordnungen.

Entscheidend für die Wirksamkeit des Grundrechtsschutzes ist die strikte Einhaltung der Zweckbindung der Verbindungs- und Rechnungsdaten. Das "Feststellen mißbräuchlicher Inanspruchnahme" oder die "bedarfsgerechte Gestaltung" von TK-Leistungen dürfen nicht als Anlaß für eine umfassende Auswertung dieser Angaben oder sogar der Nachrichteninhalte herangezogen werden.

Für den Kunden bzw. Teilnehmer ist es von größter Bedeutung, die Verarbeitungsvorgänge im TK-Bereich überschauen zu können. Er muß auch künftig über die Nutzungsrisiken bestimmter Kommunikationstechniken (z. B. Mobilfunk) ebenso wie über seine Widerspruchsmöglichkeiten umfassend aufgeklärt werden. Keinesfalls darf die Einwilligung des Betroffenen mißbraucht werden, um bereichsspezifischer Schutznormen oder effiziente Datensicherungsvorkehrungen zu umgehen.

Um auch und gerade für das besonders schutzwürdige Fernmeldegeheimnis einen durchgängig hohen Schutzstandard zu sichern, braucht es eine unabhängige Kontrolle nach bundesweit einheitlichen Kriterien. Die Zuweisung dieser Überwachungsaufgabe an die im TKG-Entwurf vorgesehene Regulierungsbehörde ist wegen deren mangelhafter Unabhängigkeit und der von ihr wahrzunehmenden Regulierungsaufgaben, die mit Interessenkonflikten verbunden sein werden, nicht akzeptabel.

Deshalb sollte aufgrund seiner langjährigen fachlichen Erfahrung bei der Kontrolle der TELEKOM und seiner umfassenden Querschnittskenntnisse im TK-Bereich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz eine zentrale Funktion für die Kontrolle im Telekommunikationsbereich erhalten. Die Aufgaben, die die Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Aufsichtsbehörden im Rahmen ihrer Zuständigkeiten erfüllen, sind gesetzlich klar zu regeln.

Die Akzeptanz der Informationsgesellschaft der Zukunft hängt wesentlich ab von der Sicherung des Grundrechts auf unbeobachtete Kommunikation. Das Telekommunikationsgesetz wird einen entscheidenden Baustein für die rechtliche Ausgestaltung der künftigen TK-Infrastruktur bilden. Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordert daher dazu auf, die von ihr vorgeschlagenen Regelungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen und sich für ihre Umsetzung auch auf der europäischen Ebene (z. B. in der ISDN-Richtlinie) einzusetzen.