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Entschließung der 76. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder am 06. und 07. November 2008 in Bonn

Angemessener Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in der EU dringend erforderlich

Auf europäischer Ebene ist eine Vielzahl von Vorhaben beschlossen bzw. initiiert worden, die in ihrer Gesamtheit zu erheblichen Eingriffen in die Persönlichkeitsrechte führt:

  • Die Telekommunikationsunternehmen in den Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, die bei der Nutzung öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste anfallenden Verkehrsdaten über das Kommunikationsverhalten der Einzelnen für die Sicherheitsbehörden ohne konkreten Anlass auf Vorrat zu speichern.
  • Die Pässe der Bürgerinnen und Bürger der EU-Mitgliedstaaten werden mit biometrischen Merkmalen ausgestattet.
  • Fluggastdaten (PNR) werden in die USA übermittelt, um sie den dortigen Behörden zur Verfügung zu stellen. Die Nutzung von Fluggastdaten zu Strafverfolgungszwecken wird auch in der Europäischen Union vorbereitet.
  • Der Vertrag von Prüm, der in den Rechtsrahmen der Union überführt wird, ermöglicht den Polizei- und Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten einen gegenseitigen Zugriff auf Fingerabdruck-, DNA- und Kfz-Daten.
  • Es soll ein Europäisches Strafregisterinformationssystem geschaffen werden, mit dem Informationen über strafrechtliche Verurteilungen zwischen den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden können.
  • Das Schengener Informationssystem wird weiter ausgebaut, u.a. durch die Speicherung von biometrischen Merkmalen. Zudem wird der Kreis der Nutzer erweitert um das Europäische Polizeiamt EUROPOL und die Einheit für justizielle Zusammenarbeit in der EU (EUROJUST).
  • Ein Europäisches Visa-Informationssystem (VIS) wird eingeführt, um den Austausch von Visa-Daten zwischen den Mitgliedstaaten zu erleichtern. Auch für EUROPOL, die Sicherheitsbehörden und die Nachrichtendienste soll dieser Datenbestand zugänglich sein.
  • Das europäische Verfahren EURODAC, in dem die Fingerabdrücke von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern gespeichert sind, soll auch von der Polizei und den Strafverfolgungsbehörden genutzt werden können.
  • Der Aufgabenbereich von EUROPOL soll über die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität hinaus auch auf andere Formen der schweren Kriminalität erweitert werden. Außerdem soll EUROPOL erstmals die Befugnis erhalten, Daten auch von privaten Stellen entgegenzunehmen und Zugriff auf alle polizeilich relevanten Datenbanken in der EU bekommen.
  • Der Informationsaustausch zwischen den Strafverfolgungsbehörden der EU wird entsprechend dem Rahmenbeschluss des Rates vom 18. Dezember 2006 ("Schwedische Initiative") ausgebaut. Danach soll der Austausch verfügbarer Daten innerhalb der EU zu den gleichen Bedingungen erfolgen wie nach nationalem Recht.

Neben diesen Vorhaben gibt es zudem Abkommen auf bilateraler Ebene zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten, wie z.B. das Abkommen der Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Staaten für einen erweiterten Informationsaustausch zwischen den Sicherheitsbehörden.

Der Aufbau zentraler Datenbestände und der Ausbau der grenzüberschreitenden Datenübermittlung greifen erheblich in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein und führen dadurch zu Gefahren für jede Einzelne und jeden Einzelnen. Diese werden noch gesteigert durch die angestrebte Verknüpfbarkeit der bestehenden und geplanten Datenbanken.

 

Umso wichtiger ist deshalb ein hoher und gleichwertiger Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Europa. Dies wurde von den Datenschutzbeauftragten auf nationaler und europäischer Ebene mehrfach angemahnt. Der hierzu im Oktober 2005 vorgelegte Rahmenbeschluss-Vorschlag genügt diesen Anforderungen nicht (siehe dazu die Entschließung der 71. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 16./17. März 2006 "Mehr Datenschutz bei der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen"). Zur Wahrung des erforderlichen Gleichgewichts zwischen Freiheit und Sicherheit sollten die Parlamente und Regierungen ihre Einflussmöglichkeiten bei europäischen Vorhaben stärker nutzen und dabei auch datenschutzrechtliche Aspekte einbringen. Wie notwendig ein angemessener Datenschutz ist, hat sich beim Verfahren der Aufnahme Verdächtiger in die so genannte EU-Terrorliste gezeigt, das durch den Europäischen Gerichtshof für rechtswidrig erklärt wurde.

Die Datenschutzbeauftragten fordern deshalb:

  • Bei jeder neuen Initiative ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu wahren und deren Auswirkung auf das bestehende System von Eingriffsmaßnahmen zu berücksichtigen.
  • Im Hinblick auf den Kumulationseffekt sind die verschiedenen europäischen Initiativen zudem grundrechtskonform aufeinander abzustimmen. Redundanzen und Überschneidungen müssen verhindert werden.
  • Ein Rechtsakt muss unverzüglich beschlossen werden, der über den Rahmenbeschlussvorschlag hinaus einen hohen und gleichwertigen Datenschutzstandard bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Rahmen der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit verbindlich vorschreibt. Die gesamte nationale und grenzüberschreitende Informationsverarbeitung in diesem Bereich muss davon erfasst sein, um ein einheitliches Datenschutzniveau in den EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten.
  • Ein unabhängiges, beratendes Datenschutzgremium sowie eine unabhängige und umfassende datenschutzrechtliche Kontrolle müssen für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit eingerichtet bzw. gewährleistet werden.