Entschließung der 54. Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder vom 23./24. Oktober 1997 in Bamberg
Informationelle Selbstbestimmung bei Bild-Ton-Aufzeichnungen bei Vernehmungen im Strafverfahren
Überlegungen des Gesetzgebers und eine beginnende öffentliche Diskussion, moderne Dokumentationstechnik der Wahrheitsfindung und dem Zeugenschutz in gerichtlichen Verfahren nutzbar zu machen, liegen auch im Interesse des Datenschutzes. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Bild-Ton-Aufzeichnungen von Vernehmungen im Strafverfahren einen erheblichen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen. Sie spiegeln die unmittelbare Betroffenheit der Beschuldigten oder Zeugen in Mimik und Gestik umfassend wider. Zweck und Erforderlichkeit dieses Eingriffs bedürfen einer sorgfältigen Begründung durch den Gesetzgeber. Sie bildet den Maßstab, der über Möglichkeiten, Grenzen und Verfahren der Videotechnologie im Strafprozess entscheidet. Erkennbar und nachvollziehbar sollte sein, dass der Gesetzgeber die Risiken des Einsatzes dieser Technologie, insbesondere die Verfügbarkeit der Aufzeichnungen nach den allgemeinen Vorschriften über die Beweisaufnahme bedacht und bewertet hat. Ferner sollte erkennbar und nachvollziehbar sein, dass Alternativen zur Videotechnologie, namentlich die Verwendung von Tonaufzeichnungen, in die Erwägungen des Gesetzgebers aufgenommen wurden.
Nach Auffassung der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder sollten die vorliegenden Gesetzentwürfe des Bundesrates (BT-Drs. 13/4983 vom 19.06.1996) sowie der Fraktionen der CDU/CSU und F.D.P. (BT-Drs. 13/7165 vom 11.03.1997) in einem umfassenderen Bedeutungs- und Funktionszusammenhang diskutiert werden. Zunehmend tritt das Anliegen der Praxis hervor, Bild-Ton-Aufzeichnungen auch mit anderer Zielsetzung zu verwerten:
Bild-Ton-Aufzeichnungen ermöglichen eine vollständige und authentische Dokumentation nicht nur des Inhalts, sondern auch der Entstehung und Begleitumstände einer Aussage. Die Beurteilung ihres Beweiswerts wird dadurch deutlich verbessert. Zugleich dient eine nur einmalige Vernehmung, die möglichst zeitnah zum Tatgeschehen durchgeführt und aufgezeichnet wird, der Wahrheitsfindung und erhöht die Qualität der gerichtsverwertbaren Daten ("Vermeidung kognitiver Dissonanzen"). Ausgehend von diesen Überlegungen, hat der Gesetzgeber unter Einbeziehung von Erkenntnissen der Vernehmungspsychologie zu prüfen, ob und inwieweit eine wortgetreue Abfassung von Vernehmungsniederschriften ausreicht und eine Aufzeichnung der Aussage nur im Wort auf Tonband für die Zwecke des Strafverfahrens in ihrer Beweisqualität der Videotechnologie sogar überlegen ist.
Für Videoaufzeichnungen des Betroffenen, die zu seinem Schutz gefertigt werden sollen, ist dessen Einwilligung unverzichtbare Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Bild-Ton-Aufzeichnung im Strafverfahren. Sofern der Betroffene nicht in der Lage ist, die Bedeutung und Tragweite einer Bild-Ton-Aufzeichnung und ihrer Verwendungsmöglichkeiten hinreichend zu beurteilen, hat der Gesetzgeber festzulegen, wer anstelle des Betroffenen die Einwilligung erteilen darf. Vor Abgabe der Einwilligungserklärung ist der Betroffene umfassend aufzuklären, insbesondere auch über alle zulässigen Arten der weiteren Verwertung und über die Möglichkeit des Widerrufs der Einwilligung für die Zukunft. Die Aufklärung ist zuverlässig zu dokumentieren. Entsprechendes gilt für die Herausgabe von Videoaufzeichnungen.
Die Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder fordern wirksame Vorkehrungen zum Schutz des Persönlichkeitsrechts bei Verwendung von Bild-Ton-Aufzeichnungen im Strafverfahren. Unabhängig von der Frage, welche Zielsetzung mit Bild-Ton-Aufzeichnungen im Strafverfahren verfolgt werden soll, sind hierbei insbesondere folgende Gesichtspunkte von Bedeutung:
Es ist sicherzustellen, daß der Eindruck des Aussagegeschehens z.B. durch Zeitlupe, Zeitraffer, Einzelbildabfolge, Standbild und Zoom nicht gezielt verfremdet oder verzerrt wird.
Einsatz und Verwertung von Bild-Ton-Aufzeichnungen sind so zu regeln, dass gesetzliche Zeugnisverweigerungsrechte gewahrt bleiben. Insbesondere ist eine weitere Nutzung der Aufnahme, auch zum Zwecke des Vorhalts, ausgeschlossen, wenn sich ein Zeuge auf sein Zeugnisverweigerungsrecht beruft.
Vorbehaltlich des o.g. Einwilligungserfordernisses darf eine Übermittlung von Videoaufzeichnungen an Stellen außerhalb der Justiz, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen erlaubt sein, da nur so ein wirksamer Schutz vor Missbrauch, etwa durch kommerzielle Verwertung, gewährleistet werden kann. Soweit der Gesetzgeber aus Gründen eines fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens die Weitergabe von Videokopien an Verfahrensbeteiligte zulässt, müssen jedenfalls wirksame Vorkehrungen gegen Missbrauch gewährleistet sein, z.B. sichtbare Signierung und strafbewehrte Regelungen über Zweckbindungen und Löschungsfristen.
Eine Verwertung der Aufzeichnungen im Rahmen eines anderen Strafverfahrens ist nur zulässig, soweit sie auch für die Zwecke dieses anderen Verfahrens hätten angefertigt werden dürfen.
Soweit eine Verwertung in einem anderen gerichtlichen Verfahren - etwa zur Vermeidung erneuter Anhörung kindlicher Zeugen vor dem Familien- oder Vormundschaftsgericht - zugelassen werden sollte, sind in entsprechenden Ausnahmeregelungen präzise Voraussetzungen hierfür abschließend zu bestimmen und enge Verwendungsregelungen zu treffen.
Spätestens mit dem rechtskräftigen Abschluß des Strafverfahrens sind grundsätzlich die Aufzeichnungen unter Aufsicht der Staatsanwaltschaft zu vernichten. Der Betroffene ist davon zu benachrichtigen. Soweit der Gesetzgeber ausnahmsweise zur Wahrung vorrangiger Rechtsgüter eine längere Aufbewahrung der Aufzeichnungen zulässt, müssen Voraussetzungen, Umfang und Fristen der weiteren Aufbewahrung klar und eng geregelt werden