Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dr. Harald von Bose
Pressemitteilung
vom 16. September 2008
Schlimme Praxis der Videoüberwachung im Justizzentrum in Magdeburg
Am 10. September 2008 ging ein Hinweis in der Geschäftsstelle des Landesbeauftragten ein, wonach dem örtlichen Personalrat des Amtsgerichts Magdeburg bekannt geworden sei, dass die Videoaufzeichnung im Gebäude zur Bewertung des Verhaltens eines Bediensteten im Justizzentrum am Arbeitszeiterfassungsgerät genutzt wurde.
Ein am selben Tag durchgeführter Informations- und Kontrollbesuch im Justizzentrum ergab, dass mehrere Kameras installiert sind, so für den Eingangsbereich und den Außenbereich am Breiten Weg und für den Innenhof und auf der Rückseite den Parkplatz und die Tiefgarage.
Die Kameras ermöglichen eine Beobachtung und Aufzeichnung und können jedermann erfassen, ob Bediensteter, Richter, Justizangestellte, Besucher, Anwalt, Zeugin, Fahrzeuginsasse. Die verschiedenen Aufnahmebereiche werden auf einem Großbildschirm dargestellt und stehen Wachtmeistern zur ständigen Betrachtung zur Verfügung. Diese Videoüberwachung wirft allerdings eine ganze Reihe von Problemen auf:
- die Erfassungsbereiche der Kameras erlauben auch eine Einbeziehung des Breiten Weges bis zum Hundertwasserhaus
- die Kameras sind kaum erkennbar, nur an der Zufahrt zum Parkplatz befindet sich ein Hinweisschild
- es findet nicht nur eine optische, sondern sogar auch eine akustische Überwachung statt
- es waren auch Aufzeichnungen vergangener Wochen verfügbar
Alle diese Maßnahmen sind vom Datenschutzgesetz nicht gedeckt. Eine Videoüberwachung durch Behörden, zu denen auch Gerichte gehören, ist danach für öffentlich zugängliche Bereiche nur in engen Grenzen zulässig, etwa zur Wahrnehmung des Hausrechts oder zum Schutz des Eigentums. Schutzwürdige Interessen der Besucher und Bediensteten müssen gewahrt werden. Dazu gehört auch die Erkennbarkeit der Beobachtung. Auch müssen die Bilder unverzüglich gelöscht werden, wenn sie nicht mehr erforderlich sind. Wenn also ein Vorfall passiert, etwa ein Strafdelikt, dann können die betreffenden Aufnahmen kopiert und ausgewertet werden, alle übrigen müssen aber gelöscht werden. Eine akustische Überwachung ist keinesfalls zulässig. Die Einbeziehung des Straßenbereiches ist nicht mehr Teil des Hausrechts. Die Überwachungspraxis ist unverhältnismäßig, der Grundrechtsschutz des Persönlichkeitsrechts bzw. des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung wurde missachtet.
Videoüberwachung ist ein intensiver Eingriff. Denn sie trifft alle, die sich in den betreffenden Räumen aufhalten. Das Bildmaterial ist vielfältig auswertbar. Diese Überwachung erfasst stets Personen, die selbst keinen Anlass gegeben haben, dessentwegen die Überwachung installiert wurde. Die "Streubreite" einer solchen Maßnahme ist daher - so auch das Bundesverfassungsgericht - erheblich.
Die offensichtlichen Verstöße sind gravierend. Der Landesbeauftragte stellt fest: "Es handelt sich um einen ernsten Vorgang. Es kann nicht sein, dass scheinbar Lidl mit der Eröffnung des Justizzentrums vor einem Jahr dort quasi eine Filiale eröffnet hat. Auch das Beispiel der Videoüberwachung am Hasselbachplatz hätte ein Alarmzeichen sein müssen." Es zeigt sich erneut, dass die Grundrechte nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch gegenüber dem Staat durchgesetzt werden müssen. "Ich bin enttäuscht, dass so etwas gerade bei denjenigen passiert, die den Rechtsstaat besonders repräsentieren."
Ungeachtet der datenschutzrechtlichen Verantwortung des Amtsgerichts für diese das Haus betreffende Fragen hat das Justizministerium den Fall an sich gezogen. In einem Gespräch mit Staatssekretär Lischka am heutigen Tag hat mir dieser versichert, dass schnell Abhilfe getroffen werde. So sei bereits am letzten Freitag verfügt worden, dass Videoaufzeichnungen nicht für personalrechtliche Maßnahmen verwendet werden dürfen. Die akustische Überwachung soll unterbunden werden.
Das Ministerium ist um einen kurzfristigen umfassenden Bericht zum Sachverhalt gebeten worden, einschließlich der technischen Bedingungen des Kamerasystems, das von einer privaten Firma installiert wurde, und in welcher Weise die Bilder zugriffsgeschützt sind. Die Problematik des Vorgangs ist im Ministerium erkannt worden. Dem entspricht auch der Umstand, dass jetzt auch die Praxis an anderen Gerichtsstandorten überprüft wird; das wird seitens des Landesbeauftragten unterstützt.
Nach Eingang der Stellungnahme des Ministeriums ist ein weiterer Kontrollbesuch im Justizzentrum mit dem Ministerium vorgesehen.
Zunächst müssen die Justizbehörden ihre "Hausaufgaben" machen.
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Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dr. Harald von Bose
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