Landesbeauftragter für den Datenschutz
Sachsen-Anhalt
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Pressemitteilung vom 19.01.1998
Schwarzer Freitag: Grundgesetzänderung zur Verwanzung der Wohnung ändert den freiheitlichen Rechtsstaat
Am Freitag, den 16. Januar 1998 hat der Bundestag mit nur 4 Stimmen Mehrheit ein wesentliches Grundrecht aller Bürger geändert:
Kein Bürger kann sich künftig mehr sicher sein, daß er in seiner Wohnung alleine ist.
Mit der Änderung des Artikel 13 des Grundgesetzes wird es Polizei und Justiz künftig möglich sein, zur Aufklärung von Straftaten jedes Gebäude und jede Wohnung entweder (nach vorherigem Einbruch) zu verwanzen oder von außen durch Richtmikrofone und andere technische Geräte abzuhören. Mehr noch - auch beim Arzt, beim Anwalt (wenn er einen nicht gerade selbst verteidigt), beim Gespräch mit der Schwangerschaftsberatung oder mit den Journalisten und auch beim Datenschutzbeauftragten gilt jetzt:
Polizei und Staatsanwaltschaft können überall zuhören!
Der oder die Betroffene muß kein "Gangster" sein. Es genügt, daß gegen einen Nachbarn oder Bekannten, mit dem man Kontakt hält, ein einfacher Verdacht besteht. Vielleicht hat man auch nur im Café neben der falschen Person gesessen.
Und dies keineswegs nur - wie verharmlosend behauptet wird - bei schwersten Straftaten, wie z.B. Mord, Totschlag, Erpressung und Menschenhandel. Bei dem in Bonn zwischen Regierung und SPD vereinbarten Kompromiß wurden auch einfache Vergehen, wie z.B. Hehlerei und Bestechung, als Rechtsgrundlage mit "eingepackt". Künftig kann der Bundestag mit einfacher Mehrheit den Katalog der Straftaten beliebig erweitern.
Damit ändert der freiheitliche Rechtsstaat in einem ganz wesentlichen Punkt sein Verhältnis im Umgang mit dem Bürger. Indem er die Intimsphäre seiner Bürger aufhebt, sich bis ins Detail über deren berufliche Absichten, ihre persönlichen Liebesbeziehungen und jede andere Art ihrer persönlichen Lebensgestaltung informiert und diese Informationen auf unbestimmte Zeit aufzeichnet, wird er die Betroffenen zur gläsernen Person machen.
Besonders bedenklich für das Rechtsgefühl der Bürger in den neuen Bundesländern. Ihnen hat die Bundesrepublik neben der Freiheit und der D-Mark auch den starken Schutz ihrer Persönlichkeit und Würde versprochen - damit ist jetzt in einem wesentlichen Punkt Schluß.
Und dies alles ohne die vom Bundesverfassungsgericht zwingend geforderte sorgfältige Begründung auf der Grundlage seriöser Analysen von Geschehensabläufen und Rechtstatsachensammlungen. Die von den Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder seit Jahren u.a. geforderte wissenschaftliche Untersuchung, ob und wenn ja welche weiteren Eingriffsmaßnahmen geeignet sind, die sog. organisierte Kriminalität besser strafrechtlich verfolgen zu können, fehlt bis heute. Statt dessen wird pauschal auf nicht vergleichbare Erfahrungen im Ausland verwiesen - die Meinung der Fachleute in Deutschland ist geteilt.
Die Kritiker fragen sich zu Recht, was man in ein oder zwei Jahren den Staatsbürgern zur Erklärung anbieten will, wenn dann - trotz tausendfach abgehörter Wohnungen - die organisierte Kriminalität weder weniger geworden noch besser aufgeklärt sein wird.
Zunächst bleiben uns allen nur zwei Hoffnungen:
Daß in Kürze bei der erforderlichen Abstimmung im Bundesrat nicht die erforderliche 2/3 Mehrheit für eine Zustimmung zu diesem Gesetz zustande kommt und - falls dies doch der Fall sein sollte - eine korrigierende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auf die von vielen Seiten zu erwartenden Verfassungsbeschwerden gegen dieses Gesetz.