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Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dr. Harald von Bose

Pressemitteilung
vom 12. Juli 2006

Deutschland stellt sich mit weniger Datenschutz ins Abseits

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz, Dr. Harald von Bose, der in diesem Jahr den Vorsitz der Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder innehat, zog folgende Halbjahresbilanz:

Ein Schwerpunkt der vergangenen Monate betraf die massiven Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der Fußball-WM. Natürlich war der friedlich-fröhliche Verlauf der WM dank der deutschen Mannschaft und der Fans und auch dank der Sicherheitskonzepte auffällig und erfreulich. Eine zusätzliche nüchterne Analyse ergibt aber: Fröhlichkeit bedingt nicht allmächtige Sicherheit. Das personalisierte Ticketing-Verfahren erwies sich als Flop. Das Akkreditierungsverfahren für die Mitwirkenden war nicht transparent genug, unverhältnismäßig und im Hinblick auf Rechtsschutzgarantien unzureichend; es drohen Wiederholungen bei weiteren Großereignissen. Immerhin wurden Videoüberwachungen bei sog. Public-Viewing-Bereichen, jedenfalls in Sachsen-Anhalt, auch aufgrund der Hinweise des Landesbeauftragten, zurückgefahren und rechtsstaatlich eingefangen.

Anlasslose, verdachtlose Datensammlungen im Vorfeld der Gefahrenabwehr und Vorratsdatenspeicherungen, wie sich etwa infolge von EU-Vorgaben für die Speicherung von Verbindungsdaten bei der Telekommunikation abzeichnen, bereiten besondere Sorge. Unbescholtene, gesetzestreue Bürgerinnen und Bürger geraten unter eine umfassende Überwachung ihres Telekommunikationsverhaltens.

Ein weiteres Beispiel für unverhältnismäßiges Datensammeln ist das am 7. Juli vom Bundesrat gebilligte SGB II – Fortentwicklungsgesetz, mit dem Arbeitsuchende mit zusätzlichen Datenab­glei­chen unter den Generalverdacht des Leistungsmissbrauchs gestellt werden. Dabei sind sich alle Experten wie zuletzt der Ombudsrat darin einig, dass die Kostenexplosion bei Hartz IV nur zu einem sehr geringen Teil auf Leistungsmissbrauch der Arbeitslosen beruht. Die strukturellen Probleme in der Arbeitsverwaltung behindern auch eine effektive Datenschutzkontrolle.

Weitere Schwerpunkte der ersten Jahreshälfte betrafen u. a.

die RFID-Technik (die auch Gegenstand eines Forums auf der CeBIT in Hannover war)

die Prüfung von Kontodatenabfragen

ein generisches Datenschutzkonzept mit der Telematikplattform für medizinische Forschungsnetze zu Biomaterialbanken

die Informationsfreiheitsgesetzgebung nach Inkrafttreten des Bundesgesetzes zum 1. Januar 2006

Zunehmende Risiken für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung erwachsen aus neuen technischen Entwicklungen, wie den mit biometrischen Daten versehenen Ausweisen und der elektronischen Gesundheitskarte. Dem Grundrechtsschutz durch technische und organisatorische Mittel - neben der Beachtung und Umsetzung materiell-rechtlicher Regelungen wie etwa dem Zweckbindungsgebot - kommt insofern große Bedeutung zu. Auch der Gesetzgeber steht hier in der Pflicht der Beobachtung und ggf. Nachbesserung.

Im Bereich der Datenverarbeitung im Privatrechtsverkehr mit der Wirtschaft fordern die Datenschutzbeauftragten seit jeher mehr Transparenz zugunsten des Kunden bzw. Verbrauchers, etwa bei Kundenkarten oder beim Kredit-Scoring, um weitreichende Persönlichkeitsprofile zu vermeiden.

Datenschutz ist kein Luxus, sondern als Verfassungsauftrag Teil des Gemeinwohls und Maßstab der Freiheitlichkeit des Gemeinwesens.

Das Bundesverfassungsgericht mahnt Legislative und Exekutive immer wieder, sich hierbei nicht ins Abseits zu stellen. Die Datenschutzbeauftragten mahnen die Wahrnehmung der Aufgabe des Grundrechtsschutzes an und warnen vor zu tiefgreifenden Einschränkungen der informationellen Selbstbestimmung.

Schwerpunkte der bereits begonnenen zweiten Halbzeit 2006 in Deutschland betreffen so z.B.

  • die Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Rasterfahndung, in der das Gericht die Notwendigkeit der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit betont und zugleich einer Schwächung des Freiheitsprinzips entgegentritt. Der Gesetzgeber erhielt hier   erneut die Rote Karte. Denn es darf keinen nahezu absoluten Vorrang der inneren Sicherheit geben. Zur Bekämpfung des Terrorismus sollte man nicht die Wurzeln des Rechtsstaates beschädigen bzw. - wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt - die Kraft des Rechtsstaats zeigt sich gerade daran, dass er sich im Umgang mit seinen Gegnern den allgemein geltenden Grundsätzen unterwirft.
  • in diesen Zusammenhang gehört auch die sehr kritische Prüfung des geplanten Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes, mit dem die Bundesregierung den Nachrichtendiensten, u.a. auch dem BND, weitere verschärfte Auskunftsbefugnisse aus dem Alltag der Bürgerinnen und Bürger zuschieben will - und das, obwohl die jetzigen Regelungen noch nicht auf ihre Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit untersucht wurden. Der Landesbeauftragte fordert auch hier ein faires „Spiel“, um Freiheit und Sicherheit einigermaßen auszubalancieren. Aber der Staat kennt offenbar keine Tabus mehr; die positive Sicherheitsbilanz der Fußball-WM hat den Datenhunger nicht gestillt. Doch sollte vermieden werden, dass der Schiedsrichter in Form des Bundesverfassungsgerichts erneut die Rote Karte ziehen muss.
  • die Beobachtung der zusätzlichen Datenerhebungen über Arbeitsuchende durch die Arbeitsverwaltungen
  • die Begleitung verschiedener eGovernment-Vorhaben, insbesondere in den Bereichen Justiz, Steuern und Soziales
  • die Prüfung der Konzeption der Einführung eines Kerndatensatzes mit Individualdaten in der Schulstatistik


Auch in Sachsen-Anhalt besteht aufgrund der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Anlass zu Änderungen des Polizeigesetzes und des Verfassungsschutzgesetzes, etwa auch im Hinblick auf den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung. Der Landesbeauftragte bleibt hier am Ball.

Menschenwürde und informationelles Selbstbestimmungsrecht sind allerdings nicht auf den Kern der Privatsphäre und der persönlichen Lebensgestaltung beschränkt. So ist freie Kommunikation auch in der Öffentlichkeit gleichermaßen geschützt. Unter den Bedingungen der modernen automatischen Datenverarbeitung der Informationsgesellschaft gibt es grundsätzlich kein belangloses Datum mehr.

Auch das Gemeinsame Informations- und Auswertungszentrum islamistischer Terrorismus (GIAZ) bleibt Thema; der Landesbeauftragte nimmt das Trennungsgebot zwischen Polizei und Verfassungsschutz ernst und hat dem Innenministerium seine Kritikpunkte erneut vorgetragen und damit eine Verwarnung im Sinne einer Unterstützung einer rechtskonformen Praxis ausgesprochen.

In der Herbsttagung der Datenschützerkonferenz vom 25. bis 27. Oktober 2006 in Naumburg werden die aktuellen Themen weiter behandelt.
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Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dr. Harald von Bose

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