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Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dr. Harald von Bose

Pressemitteilung
vom 24. Mai 2006

Verschärfung der Kontrollen bei Arbeitslosen führt zu erheblichen Datenschutzproblemen – Arbeitsuchende unter Generalverdacht

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz Sachsen-Anhalt, Dr. Harald von Bose, nahm heute zu dem aktuellen Gesetzentwurf zur Optimierung des SGB II Stellung:

Die Konferenz der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder hatte  schon bei den Konferenzen im Oktober 2005 in Lübeck und zuletzt unter Vorsitz des Landesbeauftragten Sachsen-Anhalts im März 2006 in Magdeburg die gravierenden datenschutzrechtlichen Probleme in der Praxis der Arbeitsagenturen und Arbeitsgemeinschaften bei der Bearbeitung der ALG II-Anträge moniert und Entschließungen zu den Einzelthemen der eingesetzten Software, der Antragsvordrucke, der Telefonbefragungen und der Datenschutzkontrolle gefasst.

Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erhebliche datenschutzrechtliche Missstände bei der Umsetzung der Grundsicherung eingeräumt (Bundestagsdrucksache 16/1084 vom 30. März 2006). Das von der Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen im Bundestag nunmehr auf den Weg gebrachte Fortentwicklungsgesetz für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende soll zur Optimierung der Leistungen die Verwaltungspraxis flexibilisieren.

Die Sparmaßnahmen bei Hartz IV gehen aber einher mit tiefen Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen unter dem Mantel der Bekämpfung des Leistungsmissbrauchs. Es besteht die Gefahr, dass die Arbeitsverwaltung  zu einer Arbeitslosenpolizei wird. Auch wird die von den Datenschutzbeauftragten angemahnte effektivere Datenschutzkontrolle weiter zurückgefahren. Der Gesetzentwurf würde, sollte er in dieser Form beschlossen werden, einen Dammbruch zu Lasten des Datenschutzes bedeuten. Die massiven Ausweitungen bei der Datenerhebung lassen sich auch nicht mit dem kürzlich bekannt gewordenen Bericht des Bundesrechnungshofes rechtfertigen; Ursachen für die Kostenexplosion bei Hartz IV sind offensichtlich komplexer als ein simpler Hinweis auf Missbrauch beim Bezug von Arbeitslosengeld. Mehrere Datenschutzbeauftragte haben eine Erklärung zum Gesetzentwurf gefasst, mit der die kritische Position des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit gegenüber dem Bundestag unterstützt wird.

 


Gemeinsame Erklärung

des Bundesbeauftragten und der Landesbeauftragten für den Datenschutz der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen

 vom 24. Mai 2006
 

Arbeitsuchende unter Generalverdacht

Die Bundesregierung hat den "Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende" beschlossen, der von den Koalitionsfraktionen in den Deutschen Bundestag eingebracht worden ist (Bundestags-Drucksache 16/1410) und bereits am 1. August 2006 in Kraft treten soll. Ein wesentliches Ziel des Entwurfs ist es, die stark gestiegenen Kosten der Hartz-IV-Reform durch eine verstärkte Kontrolle  aller Arbeitsuchenden nennenswert zu begrenzen.  Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI) hat mit Schreiben vom 18. Mai 2006 gegenüber dem Ausschuss für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages Stellung genommen und auf die datenschutzrechtlichen Probleme hingewiesen. Die Datenschutzbeauftragten unterstützen nachdrücklich die in der Stellungnahme des BfDI enthaltenen Forderungen:

Entgegen den im Sozialrecht geltenden Grundsätzen ist geplant, bei der Frage nach dem Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft eine Beweislastumkehr zulasten der Arbeitsuchenden einzuführen. Danach müssten Betroffene selbst nachweisen, dass sie nicht in eheähnlichen Gemeinschaften mit Mitbewohnerinnen oder Mitbewohnern leben. Wie dies in der Praxis geschehen soll, ist unklar. Betroffene könnten sich genötigt sehen, zum einen ihre Hilfsbedürftigkeit Mitbewohnerinnen oder Mitbewohnern und damit Dritten zu offenbaren, zum anderen deren sensible Daten preiszugeben. Dafür gibt es keine Rechtsgrundlage. Eine solche exzessive Datenerhebung wäre datenschutzrechtlich nicht hinnehmbar.

Bedenken bestehen auch gegen die geplante Erweiterung der automatisierten Datenabgleiche. Wegen des hiermit verbundenen massiven  Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind derartige Abgleiche grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen dann zulässig, wenn sie im vorrangigen öffentlichen Interesse tatsächlich notwendig und verhältnismäßig sind. Der Gesetzentwurf enthält aber keine Begründung, weshalb ein regelmäßiger Datenabgleich hinter dem Rücken der Betroffenen erforderlich sein soll. Dass einige von ihnen Leistungen erschleichen wollen, rechtfertigt diese Maßnahme nicht. Belege dafür, dass die vorhandenen Befugnisse zur notwendigen Bekämpfung von Leistungsmissbrauch tatsächlich unzureichend sind, fehlen völlig. Es ist mit dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren, auf diese Weise alle Arbeitsuchenden, die Grundsicherung beanspruchen, unter Generalverdacht zu stellen.

Gleiches gilt für die Schaffung der diversen Auskunftsmöglichkeiten bei anderen Behörden, beispielsweise beim Kraftfahrtbundesamt. Rein präventive Routineauskunftsersuchen sind als unverhältnismäßig abzulehnen. Es muss deshalb klargestellt werden, dass diese Abfragen nur anlassbezogen, d.h. erst wenn aufgrund der Angaben der Betroffenen tatsächliche Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit bestehen, und zielgerichtet im konkreten Einzelfall zulässig sind.

Darüber hinaus regelt der Gesetzentwurf Telefonbefragungen durch private Call Center zur Feststellung von Leistungsmissbrauch. Unabhängig von den rechtlichen Bedenken, diese hoheitliche Aufgabe nichtöffentlichen Stellen zu übertragen, muss die Freiwilligkeit der Teilnahme ausdrücklich klargestellt werden.

Die vorgesehene Verpflichtung der Leistungsträger zur Einrichtung eines Außendienstes für Hausbesuche vermittelt den nicht zutreffenden Eindruck, als würde hierdurch eine Mitwirkungspflicht der Betroffenen begründet. Dass diese Hausbesuche unzweifelhaft wegen des grundgesetzlich geschützten Rechts auf die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) nur mit vorheriger Zustimmung der Betroffenen möglich sind und die Außendienstmitarbeiter kein Recht zum Betreten haben, ist ausdrücklich zu betonen.

Schließlich beseitigt der Gesetzentwurf nicht die mehrfach von den Datenschutzbeauftragten kritisierten Unklarheiten der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Bundesagentur für Arbeit und den Arbeitsgemeinschaften (ARGEn). Im Gegenteil: Die Probleme werden durch den in sich widersprüchlichen Entwurf verfestigt. Einerseits soll die Bundesagentur für Arbeit in Angelegenheiten der ARGEn künftig die datenschutzrechtlich verantwortliche Stelle sein. Andererseits bestimmt der Gesetzentwurf, dass die Länder für die organisatorischen Angelegenheiten und damit auch für den Datenschutz verantwortlich sein sollen. Eine effektive Datenschutzkontrolle wird dadurch unmöglich.

Die Datenschutzbeauftragten fordern den Deutschen Bundestag und den Bundesrat daher auf, den Gesetzentwurf grundlegend mit Blick auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu überarbeiten. Dieses Recht muss auch bei denjenigen gewährleistet bleiben, die auf staatliche Grundsicherung angewiesen sind.

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Landesbeauftragter für den Datenschutz Sachsen-Anhalt
Dr. Harald von Bose

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